Vereint gegen den liberaldemokratischen Staat: Das rechtslibertäre Sommerfest Afuera
Im Regensburger Barockschlösschen Pürkelgut fand am zweiten Juliwochenende eine bemerkenswerte Zusammenkunft statt: Die Kleinstpartei DIE LIBERTÄREN hatte zu ihrem Sommerfest geladen. Beim AfueraFest wolle man für individuelle Freiheit einstehen, gegen „staatliche Bevormundung und ideologische Kontrolle“****, so war auf der Webseite zu lesen. Der Ruf nach Libertarismus vereinte AfD-Größen, Crypto-Unternehmer und ausgesprochene Demokratiefeinde. Das AfueraFest verdeutlicht, wie das Label „Libertarismus“ und der vermeintliche Ruf nach Freiheit von extrem rechten Akteur:innen genutzt werden kann.
Der Name der Veranstaltung ist ein Verweis auf den argentinischen Präsidenten und selbsterklärten Anarchokapitalisten Javier Milei und seine rechtslibertäre Politik. Als Milei im Wahlkampf verkündete, welche Ministerien und Regierungsorganisationen er alle streichen wolle, riss er sie symbolisch von einer Magnettafel und schrie dabei „¡Afuera!“, also „Raus damit!“. Zusätzlich übernahmen die deutschen Libertären für ihre Regensburger Festivität als Logo das große Symbol Mileis: die Kettensäge. Wiederholt trat Milei mit dem martialischen Werkzeug auf, benutzte es theatralisch als Requisite, um die Radikalität seines rechtslibertären Kurses zu verdeutlichen: Alles, was dem vermeintlichen Konzept der unbedingten Freiheit im Weg stehe, müsse vernichtet werden. Auch Elon Musk rief Anfang des Jahres mit einer Kettensäge hantierend zum Kahlschlag in der US-Administration auf. Die Konnotationen von Gewalt, ausgestellter Männlichkeit und Horrorfilmen ist dabei gewollt: Statt den Aufbau eines libertären Minimalstaates zu versinnbildlichen oder eine freiheitliche Gesellschaft ohne staatliche Einflussnahme zu imaginieren, ist das symbolische Versprechen zunächst eines von Aggression und Zerstörung. Es ist eine Inszenierung populistischen Furors, die sich unweigerlich an ein breites Spektrum von Menschen richtet, auch an diejenigen, die mit freiheitlichen Werten so gar nichts zu tun haben. So ist es eine seltsame Allianz, die sich im Schatten der libertären Kettensäge zusammentut – wie nun auch das Sommerfest im Regensburger Schloss allzu klar verdeutlicht.

Das Programm des Sommerfests
Zu den Veranstaltern gehören, neben der Kleinstpartei DIE LIBERTÄREN, verschiedene Publikationen des deutschsprachigen rechtslibertären Milieus, wie die altgediente eigentümlich frei und das jüngere Magazin Der Sandwirt, deutsche Edelmetallhändler und Kryptowährungsunternehmer sowie in der Schweiz ansässige libertäre politische Projekte, die für Steuervermeidung durch permanente Reisetätigkeit und die Gründung von Privatstädten werben. Entsprechend gestaltete sich das Programm des dreitägigen Festivals aus polit-ökonomischen Vorträgen, Workshops und einem kleinen musikalischen Bühnenprogramm.
Mit den Vorträgen und Workshops sollten in erster Linie Einführungen in die rechtslibertäre Ideenwelt gegeben werden: Verhandelt wurden etwa Strategien für den „Kulturkampf“, der Mitorganisator und selbsterklärte „Meme-Lord“ Andreas Tank, der online als Der rosarote Panzer auftritt, lud zum libertären Agitationstraining, dazu wurden Werbeveranstaltungen für Bitcoin-Investments und Gold angeboten.
Geteilte Feindbilder wichtiger als ideologische Grabenkämpfe
Auf der Webseite erklären die Veranstalter des Festes, weder rechts noch links „und schon gar kein Teil irgendeiner autoritären Bewegung“ zu sein. Überzeugend ist das nicht: Zum einen machen die Organisatoren jenseits dieses Bekenntnisses keinen Hehl um ihre eigenen dezidiert rechten Positionen, zum anderen bewarben sie die Veranstaltung auch mit der Teilnahme geladener AfD-Mitglieder und Mitglieder rechter bis extrem rechter Milieus.
Der Versuch, die eigene politische Ausrichtung hinter dem freiheitlich-unverdächtigen und angeblich unpolitischen Label „Libertarismus“ zu verstecken, verdeutlicht etwa Rainer Zitelmann, der einen Vortrag mit dem Titel „Wie erreichen wir als Libertäre & klassische Liberale mehr Menschen?“ hielt und an einer Podiumsdiskussion auf der Bühne teilnahm. Zitelmann war in den 1980er Jahren einer der führenden Historiker der Neuen Rechten. Bereits in seiner Dissertationsschrift hatte Zitelmann Hitler zum sozialistischen, dezidiert linken Revolutionär erklärt, aber er trat besonders während des sogenannten Historikerstreits 1986/87 mit revisionistischen und apologetischen Äußerungen zum Nationalsozialismus öffentlichkeitswirksam in Erscheinung. Ab den 2000er Jahren vollzog Zitelmann schrittweise seinen öffentlichen Image-Wechsel: Der neurechte Historiker und erfolgreiche Publizist zeigte sich nun als Geschäftsmann und Selfmade-Millionär, wurde Autor von Ratgeber-Literatur, bot schließlich als Fitnesscoach und Reichtums-Guru Workshops an. Anstelle von Geschichtsklitterung spricht Zitelmann heute in erster Linie von Geldvermehrung und den Vorzügen eines ungebremsten Kapitalismus. Seine Feindbilder musste Zitelmann allerdings nicht abändern: In Artikeln und Büchern schimpft er noch immer gegen die Sozialisten und die gefährliche „Religion des Antikapitalismus“ und den Feminismus. Zitelmanns politischer Hintergrund ist in der rechtslibertären Szene alles andere als ein Hindernis.
Als Panel-Teilnehmer:innen und Aussteller durften außerdem konservative bis extrem rechte Parteien und Politiker:innen auftreten. Dazu gehörten beispielsweise, neben den Veranstaltern, Peter Boehringer, Edelmetallhändler und AfD-MdB, und sein Parteikollege Petr Bystron, der auf dem Fest die extrem rechte Fraktion „Europa souveräner Nationen“ des Europaparlaments und sein Buch bewarb. Erschienen waren ebenfalls die ehemalige AfD-Parteivorsitzende Frauke Petry von der neugegründeten ParteiTeam Freiheit, der auch der Herausgeber des Sandwirts, Oliver Gorus, angehört, das ehemalige Bundestags- und AfD-Mitglied Joana Cotar sowie Vertreter:innen der rechtslibertären Partei der Vernunft und der nationalliberalen Kleinstpartei Bündnis Deutschland. Zur letzteren zählt auch der rechtslibertäre Unternehmer Markus Krall, der dem Bündnis im Spätsommer 2024 beigetreten war, nachdem er seine Beteiligung an der Gründung der WerteUnion Partei um Hans-Georg Maaßen zurückzog. Zum Thema „Freiheit unter Beschuss – der Angriff auf unsere Grundrechte“ diskutierten neben Joana Cotar unter andrem auch der Publizist, Staatsrechtler, Anwalt und Teilnehmer des „Remigration“-Treffens in Potsdam von Ende 2023, Ulrich Vosgerau.
Diese Offenheit für unterschiedliche und auch dezidiert extrem rechte Positionen ist ein seit längerem praktizierter Grundsatz eines Teils der rechtslibertären Veranstalter. So gewährt André F. Lichtschlag in seiner Publikation eigentümlich frei und auf deren Veranstaltungen immer wieder rechtsextremen Autor:innen aus der sogenannten Neuen Rechten einen Raum, um über ideologische Positionen zu streiten, und er schrieb bereits selbst in der neurechten Sezession. Ohnehin konkurrieren innerhalb des rechtslibertären Lagers verschiedene Ideen einer freiheitlichen Ordnung: Während Minarchist:innen auf einen Minimalstaat abzielen, träumen „Anarcho-Kapitalist:innen“ von der vollständigen Beseitigung des Staates und einem freien Markt, der sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse klärt. Aber es gibt noch extremere Ideen und Splittergruppen: „Neoreaktionäre“ etwa wünschen sich eine Rückkehr zu monarchistischen Kleinstaaten, die allerdings wie Firmen von einem mächtigen CEO geführt werden und im „freien Markt“ gegeneinander antreten sollen. Was jedoch alle auf dem Fest eint, ist das gemeinsame Feindbild: An erster Stelle steht hier der verhasste, räuberische Staat, aber auch jegliche progressive, ökologische oder emanzipatorische Bewegung wird als freiheitsvernichtende und staatlich verordnete Maßnahme begriffen. Im rechtslibertären Kampf um einen diffusen Freiheitsbegriff lässt sich das Feindbild erstaunlich weiten – und damit lassen sich allerhand ideologische Uneinigkeiten des rechten Lagers überwinden. Man arbeitet eben mit der Kettensäge, nicht mit dem Skalpell.
Gold und Bitcoin als Teil rechtslibertärer Politik
Auf dem Fest wurden von Ausstellern und auf der Bühne verschiedene Investitionsobjekte, Wertanlagen und Zahlungsmittel präsentiert. Junge Bitcoin-Unternehmer präsentierten den älteren Sommerfest-Teilnehmer:innen die Kryptowährung als Zahlungsmittel und Markus Krall warb für die Goldinvestition als libertäre Praxis. Auch hier kommen Überzeugungen auf dem Fest zusammen, die innerhalb des rechtslibertären Milieus konfliktbehaftet sind. Allgemein lässt sich feststellen, dass dem rechtslibertären Edelmetall- und/oder Bitcoin-Fetisch problematische politische Ansichten innewohnen. So heißt es auf der Webseite des Goldunternehmens von Markus Krall:
„Gold schützt vor dem heimlichen Raub durch Inflation. Wer Gold kauft, misstraut daher dem staatlichen Geld. Deshalb ist Gold ein politisches Produkt, aber kein politisch korrektes Produkt.“ Hier äußert sich ein Misstrauen gegenüber „heimlichen“ und mutmaßlich illegalen Machenschaften der Zentralbanken, die auch in Kryptowährungskreisen geteilt wird. Der Cyberlibertarismus-Forscher David Golumbia wies in seiner Studie zur Verbindung von Bitcoin und rechtsextremer Politik darauf hin, dass innerhalb des Bitcoin-Milieus – unter verkürztem Rückgriff auf Theorien des Chicagoer Ökonomen Milton Friedman – das Drucken von Geld mit Inflation, also Wertminderung gleichgesetzt werde. Bewusst oder unbewusst würden Kryptowährungsenthusiasten damit seit Jahrzehnten an teilweise über 150 Jahre alte, antisemitische Verschwörungsmythen anknüpfen. In diesen werde der jüdischen Bankiersfamilie Rothschild unterstellt, eine geheime Entwertung des Eigentums von nichtjüdischen Menschen über die Zentralbanken durchzuführen, so Golumbia.
Markus Krall verbreitet in dieser Hinsicht klar Verschwörungsmythen – allerdings ohne explizit antisemischen Inhalt. Im Gegenteil: Krall distanzierte sich wiederholt vom Antisemitismus und bekennt sich zum Existenzrecht Israels. Damit ist er im rechtslibertären Spektrum nicht allein. Aber wie Golumbia aufzeigt, haben diese Mythen eine antisemitische Tradition. Diese Paradoxie verkörpert ein geladener Gast des AfueraFestes ganz eindrücklich: Natternkönignennt sich der libertäre Nachwuchsrapper, der sich in seinen Songs nicht nur ungelenk reimend gegen Staat, Frauen, Schwule und linke Gutmenschen auslässt, sondern in seinem Song „Der Geheimbund“ auch so gut wie jedes antisemitische Klischee der letzten 150 Jahre bedient: Böse, medien- und klimamanipulierende Weltverschwörer würden das Volk zerstören wollen, denen müsse man das Handwerk legen. Ein Antisemit will der junge Libertäre trotzdem nicht sein, denn er wisse ja, dass „auch Christen“ Teil der „globalistischen“ Kabale seien. Würde er nicht so beharrlich wiederholen, libertär zu sein und den „Minimalstaat“ preisen – man könnte ihn für schlichtweg rechtsextrem halten. So wie große Teile des Festivals in Regensburg.
Fazit
Wie diese Beispiele verdeutlichen, handelt es sich beim libertären Sommerfest nicht um eine „weder rechts noch links“ einzuordnende Veranstaltung, sondern um eine, auf der rechte bis extrem rechte und “libertäre” politische Vorstellungen geteilt und die Teilnahme von Mitgliedern der rechtsextremen AfD gestattet und beworben wurde. Ob die Veranstalter und Teilnehmenden ebenso wenig ein „Teil irgendeiner autoritären Bewegung“ sind, wie auf der Webseite behauptet wird, darf ebenso bezweifelt werden. So ließ sich der „Anarchokapitalist“, „Meme-Lord“ und an der Organisation des AfueraFests mitbeteiligte Andreas Tank auf X in einem T-Shirt mit der Aufschrift „The General Pinochet’s Helicopter Tours“ ablichten. Dabei handelt es sich um das zehn Jahre alte „Free Helicopter Rides“ Meme der US-amerikanischen Alt Right-Bewegung. Augusto Pinochet hatte nach einem Militärputsch 1973 gegen die gewählte sozialistische Regierung Salvador Allendes in Chile eine brutale Diktatur errichtet, während der politische Gegner:innen durch das Werfen aus Helikoptern ermordet wurden. Gleichzeitig engagierte Pinochet libertäre Berater, um die Wirtschaft des Landes umzubauen. Dies passt schwer zu den antiautoritären Bekundungen, selbst wenn es sich laut Tank lediglich um „humoristische Drohungen“ handelt.
Ob der Rechtslibertarismus ohnehin an individueller Freiheit jenseits des Ökonomischen interessiert ist, steht grundsätzlich zur Debatte. Der Soziologe Andreas Kemper lehnt den Begriff des Libertarismus in diesem Zusammenhang ab und schlägt stattdessen, unter Rückgriff auf Thomas Piketty, Proprietarismus vor: Eine Ideenkonstellation, die vor allem dem Erhalt des bürgerlichen Privateigentums verpflichtet ist. Das Regensburger AfueraFest scheint sich aber einem noch rudimentäreren Ziel verpflichtet zu haben: der Konstruktion einfacher Feindbilder, mit denen sich die ideologischen Differenzen rechter Bewegungen schließen lassen. Die Organisator:innen und Speaker:innen werten das erste AfueraFest in dieser Hinsicht als Erfolg. Trotz Animositäten von Politiker:innen untereinander und von Libertären ihnen gegenüber verlief die Veranstaltung aus ihrer Sicht ohne größere Probleme ab. Selbst Javier Milei reagierte auf X positiv auf die Veranstaltung. Ein zweites Sommerfest ist bereits für das nächste Jahr geplant. Dann soll es wieder mit der Kettensäge gegen die vermeintlichen Feinde der Freiheit gehen.