Rechtsextremismus und Fußball: Von Fußballritualen zu Gewalttaten

Autor:innen: Ruben Gerczikow

Fußball-Stadien erscheinen oft wie ein Brennglas für gesellschaftliche Entwicklungen. Dort treffen politische Weltanschauungen aufeinander: Antirassistische Fans kämpfen für eine diskriminierungsfreie Kurve, Rechtsextreme versuchen ihren Einfluss auszubauen.

Es ist Anfang 2025. Kurz vor der Neuwahl des Deutschen Bundestags. An den Wochenenden vor dem Wahltag am 23. Februar 2025 fanden deutschlandweit Demonstrationen gegen das Erstarken der extremen Rechten sowie der Alternative für Deutschland (AfD) statt. Auch diverse Fußballvereine wie der 1. FC Köln oder der SV Werder Bremen riefen ihre Fans dazu auf, am Wochenende nicht nur die Spiele zu besuchen, sondern auch ein Zeichen gegen den Rechtsruck zu setzen. Das Fußballstadion erscheint oft wie ein Brennglas der Gesellschaft – gesellschaftspolitische Entwicklungen werden hier stets sichtbar. Mit 20,8 Prozent ist die AfD – was sich lange abgezeichnet hat – die zweitstärkste Kraft in der Bundesrepublik geworden.

Und allen Aufrufen zum Trotz: Fußball bietet von je her Anknüpfungs- und Überschneidungspunkte mit rechtsextremen und neonazistischen Gruppen. Beispielweise teilen sich einige Fangruppen und die extreme Rechte Gewaltaffinität, teils autoritäre Denkmuster sowie ein bestimmtes Einheitsdenken, dass in ein “Wir” und ein “Die” unterteilt. Obwohl rechtsextreme Fans sich gerne als “unpolitisch” gerieren, tragen sie ihre Ideologie ins Stadion oder auch auf die Straße.

Junge, gewaltbereite Neonazis mit Fußballbezug

Besonders deutlich wurde diese Symbiose im vergangenen Jahr durch die Online-Mobilisierung rechtsextremer Jugendgruppen gegen Christopher-Street-Day-Veranstaltungen (CSD) und bei den daraus resultierenden “Gegendemonstrationen”, wie etwa am 10. August 2024 im sächsischen Bautzen oder am 24. August 2024 in Magdeburg. In Bautzen erzeugten rund 680 Personen aus der rechtsextremen Szene gegenüber den mehr als 1.000 Teilnehmenden des CSDs eine einschüchternde Atmosphäre. Ihr Auftreten erinnerte dabei an einen Fußball-Fanmarsch - nur mit Drohgesängen gegen politisch Andersdenkende sowie sexuelle Minderheiten. Das koordinierte Klatschen, die Adaption bekannter Fangesänge sowie der Einsatz von Pyrotechnik untermalten dieses Bild. An den Demonstrationen nahmen Mitglieder der rechtsextremen Gruppierungen Jung&Stark (J&S), Deutsche Jugend Voran (DJV) und Der Störtrupp teil. Auffällig bei diesen Gruppen ist, neben dem jungen Alter ihrer Akteure, auch ihre Verbindungen zum Fußball. Diese existieren laut ZDF-Recherchen durch das Tragen von Merch oder dem Bekennen auf den Sozialen Medien zu den Berliner Stadtrivalen Hertha BSC und Union. In internen Chats der jungen Neonazis werden u.a. rassistische, antisemitische und gewaltverherrlichende Inhalte geteilt. Ihr Auftreten im digitalen und analogen Raum dient der Vernetzung und Rekrutierung neuer Mitglieder sowie zur Verbreitung ihrer Ideologie. In den vergangenen Monaten sollen die jungen Neonazis zudem an Angriffen beteiligt gewesen sein, weswegen es auch zu Hausdurchsuchungen bei J&S und DJV-Mitgliedern in Berlin und Brandenburg kam.

Der Fußball als Rekrutierungsfeld

Fußball gilt seit jeher als Rekrutierungsfeld für Rechtsextreme. Das macht sich etwa der Online-Shop „aktivde“ zu nutzen. Die Website bietet vor allem Aufkleber an und zielt dabei auch auf die Kundschaft gewaltaffiner und rechtsextremer Fußballfans ab. Mehrere Motive zieren das Hooligan-“H”. Der in der Frakturschrift geschriebene Buchstabe gilt als Erkennungszeichen der Hooligan-Szene und wird auch unabhängig von einem rechtsextremen Weltbildes von gewaltorientierten Fußballfans getragen. Das Motiv findet sich in Kombination mit Parolen wie “Für Verein und Vaterland” oder “Sport Frei” im erwähnten Online-Shop. Diese und rassistische oder queerfeindliche Motive aus dem Versandhandel „aktivde“ eines jungen Neonazis fanden sich auch auf den Anti-CSD-Demonstrationen wieder. Des Weiteren taucht der Satz “Für Verein und Vaterland” in Kombination mit dem jeweiligen Wappen sowie dem Bundesadler im Umfeld mehrerer Vereine auf, was einige Fanszenen zur Distanzierung veranlasste.

Auch die neonazistische Parteien wie Die Heimat (ehemals NPD) oder Der III. Weg versuchen, Fußballfans durch fanpolitische Themen für sich zu gewinnen. Während die NPD zur Wahl des Berliner Abgeordnetenhaus 2016 Forderungen wie „Pyrotechnik nicht kriminalisieren“ und „Fankultur erhalten“ formulierte, instrumentalisierte Der III. Weg die Kritik vieler Fanszenen an Türkgücü München und dem kommodifizierten Fußball für ihre rassistischen Positionen. Das geschah jedoch ohne nennenswerten Erfolg und eher abseits der Fanproteste. Dem türkischstämmigen Verein gelang 2020 der Aufstieg in die 3. Liga maßgeblich durch die finanzielle Unterstützung des Investors Hasan Kivran.

Die Aneignung fußball- und fanspezifischer Themen seitens der AfD spielt in der Parteiarbeit eine untergeordnete Rolle. Allerdings weisen einige AfD-Abgeordnete direkte Bezüge zum Fußball auf. Der Bundestagsabgeordnete Sebastian Münzenmaier soll in der Nacht zum 18. März 2012 an einem Überfall von fünfzig Mitgliedern der Ultra’- und Hooliganszene des 1. FC Kaiserslautern auf Fans des rivalisierenden 1. FSV Mainz 05 beteiligt gewesen sein, die auf der Rückfahrt vom Auswärtsspiel beim FC Augsburg waren. Das Landgericht Mainz verurteilte ihn 2017 wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 16.800 Euro. Im Brandenburger Landtag sitzt seit 2024 mit Jean-Pascal Hohm ein Politiker im Parlament, der erst 2017 die AfD-Landtagsfraktion als Mitarbeiter verlassen musste, um 2019 wieder für einen Landtagsabgeordneten anzufangen. Grund für sein Ausscheiden waren seine Kontakte zur rechtsextremen Identitären Bewegung sowie Videoaufnahmen mit dem Identitären-Kader Robert Timm beim Fußballspiel zwischen dem SV Babelsberg 03 und dem FC Energie Cottbus. Die beiden sollen inmitten von Cottbuser Fußballfans gestanden haben, die antisemitische Parolen riefen und den Hitlergruß zeigten. Nach rbb-Recherchen soll Hohm Verbindungen in die rechte Ultra’-Szene des FCE haben. Auch der Spitzenkandidat der inzwischen aufgelösten Jungen Alternative zur Europawahl 2024, Tomasz Froelich, zeigt sich als Fußballfan. Das Mitglied des Europäischen Parlaments soll Mitglied der Gruppe Boozehounds des Hamburger SV sein. Die Hamburger-Fanszene distanzierte sich 2022 von Froelich: Seine Person ist in der Fanszene unseres HSV nicht erwünscht und wird nicht geduldet.

Der Nutzen von Hooligans für die rechtsextreme Szene

In den vergangenen zehn Jahren profitierte die extreme Rechte in Deutschland vom hohen Organisationsgrad und der Schlagfertigkeit gewaltbereiter oder gewaltsuchender Fußballfans wie auch Hooligans. Im Jahr 2014 formierte sich mit den Hooligans gegen Salafisten (HoGeSa) eine Initiative, die als Brücke zwischen der Hooliganszene und organisiertem Rechtsextremismus fungierte. HoGeSa sorgte dabei auch mit gewalttätigen Ausschreitungen, wie am 26. Oktober 2014 in Köln, für Schlagzeilen. Vier Jahre später zog die rechtsextreme Hooligan-Gruppe Kaotic Chemnitz die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich, weil sie sich an der Organisation und den rassistischen Ausschreitungen im Sommer 2018 in Chemnitz beteiligte.

Im Zuge der Corona-Pandemie und dem Aufkommen von Querdenken und verschwörungsideologischen Demonstrationen konnten (rechtsextreme) Hooligans auf ihre Erfahrungen im Umgang mit der Polizei zurückgreifen. Hooligans fungierten am 7. November 2020 in Leipzig als “Wellenbrecher” für die aufgelöste Querdenken-Demonstration, führten diese sogar zeitweise an und griffen die Polizei sowie die Presse vor Ort an.

Fußballbezüge tauchen regelmäßig auf rechtsextremen Veranstaltungen hierzulande oder im Ausland auf. Teilweise zeigen rechtsextreme Fußballfans ihre Vereinszugehörigkeit durch das Tragen von Fanartikeln oder erkennbare Tattoos mit dem Wappen ihrer Mannschaft. Auch in ihrem äußeren Auftreten erinnert das Auftreten der extremen Rechten an Fußballfans, da sie sich beispielsweise Dresscodes etwa der Fußball-Subkultur der Casuals bedient. Auch in Bautzen oder Magdeburg trugen die jungen Neonazis Fred Perry, Lyle & Scott oder New Balance.

Neue Entwicklungen - altes Ziel?

Bereits vor der Corona-Pandemie konnte eine Professionalisierung und Inszenierung der körperlichen Gewalt innerhalb der deutschen Fanlandschaft beobachtet werden. Die Verbindungen zwischen dem organisierten Rechtsextremismus und professionellen Kampfsport hat der Hooliganismusforscher Robert Claus in seinem 2020 erschienenen Buch “Ihr Kampf: Wie Europas extreme Rechte für den Umsturz trainiert” aufgeschrieben. Laut Claus spiele Gewalt „eine Rolle in der Ultra-Kultur, aber keine so zentrale wie im Hooliganismus“. Des Weiteren haben sich in diversen Fanszenen auch Mischgruppen zwischen Ultras und Hooligans gebildet. Gerade diesen Mischformen spielen immer wieder mit einer rechtsoffenen oder rechtsextremen Inszenierung wie etwa auf Telegram. In Telegram-Kanälen wie “Gruppa OF” oder “Ultras Not Reds” sind die Übergänge oft fließend.

Obwohl viele Fanszenen sich klar gegen Neonazis positionieren, bleibt das Fußballumfeld vielerorts ein Rekrutierungsfeld für die extreme Rechte. Die extreme Rechte nutzt Fankultur, Gewaltbereitschaft und Lokalpatriotismus für ihre Zwecke. Die Mobilisierungen gegen die CSDs 2024 zeigen, wie junge Neonazis gezielt auf Strukturen aus der Fußballszene zurückgreifen.

Auch rechtsextreme Parteien werben um Fans und versuchen, ihre Themen in den Fußball zu tragen. Hooligans, gewaltbereite Neonazis und Kampfsportler bilden dabei gefährliche Mischszenen, die sich weiter radikalisieren und Gewalt anwenden.

Die Gewalt richtet sich gegen all diejenigen, die als Feindbild der Rechtsextremen gelten. Im Januar 2015 feierte der Leipziger PEGIDA-Ableger LEGIDA seinen ersten Geburtstag. LEGIDA-Mitorganisatoren waren damals u.a. Marco Prager und Silvio Rösler, zwei Leipziger Fußballfans mit Kontakten zu rechtsextremen Fangruppen. Während des Jahrestages marschierten mehr als 200 schwarzvermummte Neonazis und Hooligans durch den als links-alternativen geprägten Stadtteil Connewitz, zündeten Pyrotechnik, griffen Geschäfte an und zerstörten Autos. Der Sachschaden belief sich auf 113.000 Euro. Anfang 2025 sind gegen 217 Beteiligte in 212 Fällen Gerichtsurteile ergangen. Davon sind 209 rechtskräftig. Unter den damaligen Angreifern befanden sich auch Mitglieder der 2012 aufgelösten rechtsextremen Hooligan-Gruppen Scenario Lok von Lokomotive Leipzig sowie der Faust des Ostens der SG Dynamo Dresden.

Danach nahmen ähnliche Angriffe ab. Doch 2025 kommt es wieder zu einem Angriff auf einen als links wahrgenommenen Ort durch Fußballfans, am späten Abend des 1. März 2025 im brandenburgischen Senftenberg. Knapp 40 vermummte Personen griffen den alternativen Jugendclub Jamm mit Steinen an und riefen rechtsextreme Parolen. Laut dem Jugendclub sollen Mitglieder der Cottbuser Fanszene an dem Angriff beteiligt gewesen sein, die seit Jahrzehnten für ihre politische Gesinnung bekannt ist.

Über den Gastautor: Ruben Gerczikow ist Autor und hat Publizistik und Kommunikationswissenschaften studiert. Er recherchiert zu antisemitischen Strukturen im analogen und digitalen Raum. Er hat in der Vergangenheit bereits für Medien wie den Spiegel, die FAZ, den Tagesspiegel und die ZEIT geschrieben. Seine Veröffentlichungen behandeln die Themenfelder Antisemitismus, Rechtsextremismus, Islamismus und jüdische Gegenwart. Anfang 2023 ist sein gemeinsam mit Monty Ott verfasster Reportageband „,Wir lassen uns nicht unterkriegen‘ - Junge jüdische Politik“ in Deutschland im Verlag Hentrich & Hentrich erschienen. Im Herbst 2025 erscheint im Verlag Die Werkstatt der von Monty Ott und Ruben Gerczikow herausgegebene Sammelband „Juden auf dem Platz, Juden auf den Rängen - Jüdische Lebenswirklichkeiten und Antisemitismus im Fußball heute“.

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