Krisenzeiten als Brandbeschleuniger rechtsextremer Mobilisierung
17. August 2022
Die Frage nach einer sicheren Energieversorgung treibt gerade viele Menschen in Deutschland um – und gleichzeitig steht das verschwörungsideologische und rechtsextreme Milieu bereits in den Startlöchern, um diese sehr realen Sorgen der Menschen in den nächsten Monaten für sich als Propagandafläche zu nutzen. Immer wieder zeigt sich: Rechtsextreme versuchen, Krisen und Katastrophen für sich zu nutzen. Beim Oderhochwasser inszenierte sich die NPD 2013 als angeblich volksnahe Fluthelferin. Auch die Flutkatastrophe in Rheinland-Pflanz wurde von Rechtsextremen instrumentalisiert. Die Coronapandemie wurde genutzt, um getarnt als angebliche „Maßnahmenkritik“ antidemokratische Räume zu vergrößern.
Aktuell lässt sich nicht sicher sagen, wie groß mögliche Proteste im Herbst/Winter und von welchen Akteur:innen sie maßgeblich geprägt sein werden. Proteste sind ein Grundpfeiler einer demokratischen Gesellschaft. Zum Problem werden sie dann, wenn sie antidemokratische Akteur:innen eine Plattform bieten oder von Rechtsextremen initiiert werden. Wenn über sie Antisemitismus und geschichtsrevisionistische Positionen verbreitet werden. Wenn Journalist:innen attackiert und bedroht werden, wenn politische Entscheidungsträger:innen und Wissenschaftler:innen zum Feindbild werden, wie es sich vielfach in der Pandemie zeigte.
Verschiedene Akteur:innen planen Proteste, um die Krisenlage für die eigenen Zwecke zu nutzen. In den entsprechenden Telegram-Kanälen ist dann etwa die Rede vom „Großen Erwachen“ und einem „aufziehenden Sturm, der die Grundmauern des Systems erschüttern“ würde. Einem Untergang wird teilweise regelrecht entgegengefiebert. Insbesondere das Format der sogenannten „Spaziergänge“, das von den rechtsextremen „Freien Sachsen“ im Winter 2021 initiiert wurde, wird als Protestform diskutiert.
Energiekrise als Mobilisierungsthema
Energiekrise, Inflation und die Gasumlage werden nicht nur gesamtgesellschaftlich, sondern auch in einschlägigen Gruppen und Kanälen auf Telegram breit thematisiert.
Mit Debatten um die Gasumlage geht immer wieder auch die Forderung nach einer Inbetriebnahme von Nord Stream 2 einher. Alice Weidel schrieb auf Facebook beispielsweise, dass die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 „kein Tabu mehr sein“ dürfe. Die Forderung nach einer Lockerung der Sanktionen gegen Russland und einer damit verbundenen Öffnung von Nord Stream 2 sind auch anschlussfähig in Teilen der Gesellschaft. Laut einer forsa-Erhebung vom Juli 2022 machen sich 83 Prozent (sehr) große Sorgen, dass die Preise in Deutschland durch den Krieg und die Sanktionen weiter ansteigen. Nach einer Ende Juli veröffentlichten ARD-Umfrage unterstützten weiterhin 58 Prozent die Sanktionen gegen Russland trotz möglicher Nachteile für Deutschland. Während es im Westen 63 Prozent waren, waren es im Osten nur 39 Prozent.
So ist es wenig verwunderlich, dass auch pro-russische Propagandisten und russische Desinformation diese Thematiken für sich nutzen, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu untergraben und die Solidarität mit der Ukraine zu schwächen. Auch im verschwörungsideologischen Milieu ist diese Forderung anschlussfähig. Ralph T. Niemeyer, Bundestagskandidat der verschwörungsideologischen Kleinstpartei dieBasis und Gründer einer angeblichen „Exil-Regierung“, positioniert sich beispielsweise zur Öffnung von Nord Stream 2. „Lasst uns versuchen den Krisenwinter gesamtgesellschaftlich zu verhindern, fordern wir bundesweit überall auf der Straße die Öffnung Nordstream 2! dann verlangsamen wir die Agenda des WEF!“ heißt es auf einem Telegramkanal, der sich angeblich mit „Krisenvorsorge“ befasst. Hier zeigen sich direkte Anschlussfähigkeiten an Narrative um einen angeblichen „Great Reset“. Die aktuelle Krise wird in das verschwörungsideologische Weltbild integriert und auf aktuelle Ereignisse angepasst.
Auch auf Twitter finden sich ähnliche Dynamiken: Unter dem Hashtag #greatreset finden sich im deutschsprachigen Raum vielfach Posts, die einen Zusammenhang zwischen den „Great Reset“ und der Gasumlage oder Nord Stream 2 herstellen oder gegen die Grünen, insbesondere gegen Robert Habeck, hetzen. Verschwörungserzählungen über den „Great Reset“ sind wiederum anschlussfähig an antisemitische Narrative und Chiffren.
Fazit und Ausblick: Solidarische Auseinandersetzung mit Krisen stärken
Ob es im kommenden Herbst und Winter erneut zu einer großen, rechtsextrem geprägten Mobilisierung kommt, liegt auch daran, wie Politik und Gesellschaft mit der gegenwärtigen Lage umgehen. Gefahren müssen als solche klar benannt werden. Wenn die Menschenverachtung antidemokratischer Akteur:innen ignoriert wird, können sich ihre Protestdynamiken fast ungestört entfalten. Gleichzeitig dürfen nicht wieder demokratische Leerstellen wie in der Pandemie entstehen. Im Verlaufe der Proteste während der Corona-Pandemie konnte man sogar beobachten, dass es über eine Instrumentalisierung hinaus ging: In vielen Fällen haben Rechtsextreme die Proteste sogar organisiert, beispielsweise die sogenannten „Spaziergänge“, die erstmalig von den „Freien Sachsen“ initiiert wurden. Wichtig ist in der jetzigen Situation, Lehren aus den Erfahrungen mit dem Corona-Protestgeschehen zu ziehen.
Bei all den Herausforderungen im Inland darf nicht vergessen werden, dass eine Destabilisierung von Gesellschaften von Russland als Kriegsmittel absichtlich genutzt wird, um so langfristig Demokratien, aber auch die Solidarität mit der Ukraine zu schwächen. Je mehr der russische Angriffskrieg aus dem Blick der Öffentlichkeit gerät, desto leichter verfängt sich russische Desinformation und Propaganda. Gerade in Krisenzeiten müssen soziale Fragen auch politisch priorisiert werden, da soziale Ungerechtigkeit als Brandbeschleuniger für antidemokratische Akteur:innen wirkt. Eine wichtige Lehre aus den vergangenen zwei Jahren sollte daher sein, dass wir uns politisch und gesellschaftlich darauf konzentrieren, die kommende Zeit nicht zu einem erneuten Mobilisierungserfolg für Propagandist:innen, Verschwörungsideolog:innen und Rechtsextreme werden zu lassen.