Verschwörungs­ideologische Positionierungen zum russischen Angriffs­krieg gegen die Ukraine

Die aktuelle Phase des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine seit dem 24. Februar 2022 hat auch innerhalb verschwörungsideologischer Milieus zu zahlreichen Reaktionen auf Telegram geführt. Eine Analyse der zehn reichweitenstärksten deutschsprachigen verschwörungsideologischen Telegram-Kanäle während der ersten Kriegswoche verdeutlicht, dass die Positionierungen innerhalb des Kriegs nicht immer einheitlich sind, aber mit großer Mehrheit die Position Russlands und Putins vertreten werden.

Pro-Russische und den Angriffskrieg entschuldigende Positionen

Für die russische beziehungsweise Vladimir Putins Seite und gegen die ukrainische und/oder zumindest gegen den Westen positionierte sich die Mehrheit der zehn Kanäle mit den meisten Abonnent:innen.¹ Zu ihnen zählen die Kanäle der Verschwörungsideolog:innen Eva Herman, Bodo Schiffmann (Alles Ausser Mainstream) und Reiner Fuellmich. Auch die Kanäle der sächsischen Kleinstpartei Freie Sachsen sowie der „Alternativmedien“ AUF1, Freie Medien und dem Ken Jebsen – Aufklärung und Information² verorteten sich an der Seite Putins. Einzig der Kanal GemEINSam Stark – JETZT positionierte sich nicht im analysierten Zeitraum. Dies könnte damit zusammenhängen, dass der Kanal mit der Absicht gegründet wurde eine sehr hohe Anzahl an Abonnent:innen zu erreichen, um ein Zeichen gegen eine Impfpflicht zu setzen. Eine Positionierung birgt Spaltungspotential innerhalb des verschwörungsideologischen Milieus und kann ein Abwandern von Abonnent:innen zur Folge haben. Allgemein lässt sich feststellen, dass die Top 10 Kanäle, die sich pro-Putin positionierten, seit dem 24. Februar 2022 einen leichten Zuwachs verzeichnen konnten. Einen großen Zuwachs verzeichneten pro-russische Kanäle, die zuvor eher weniger Abonnent:innen aufwiesen und nicht zu den reichweitenstärksten Kanälen des Milieus zählten.

Inhaltlich wurde vor allem das Handeln der russischen Regierung entschuldigt: Putin reagiere lediglich auf jahrelange Provokationen des Westens – besonders der NATO. Der Kanal AUF1 bot für diese Position dem Verschwörungsideologen Christoph Hörstel, der zwei verschwörungsideologische Kleinstparteien gegründet hat (Deutsche Mitte, Neue Mitte), mit einem Interview eine Plattform. Bodo Schiffmann griff darüber hinaus die von Russland verbreitete Desinformation über eine „Entnazifizierung“ der Ukraine durch Russland auf, indem er behauptete, die NATO habe in der Ukraine eine faschistische Regierung an die Macht gebracht. Außerdem teilte er, wie auch Eva Herman, eine innerhalb des Milieus häufig anzutreffende Desinformation über US-finanzierte Biolabore in der Ukraine, was ebenfalls den Angriff Putins rechtfertigen sollte. Die Labore sollen an der Grenze zu Russland bzw. zur russisch besetzten Krim liegen, vom US-Verteidigungsministerium finanziert sein und an biologischen Waffen arbeiten. Diese Behauptungen sind seit Jahren Teil einer russischen Desinformationskampagne.

Positionen gegen Putin

Bemerkenswert, aber nicht überraschend, ist die Positionierung des reichweitenstärksten deutschsprachigen verschwörungsideologischen Telegram-Kanals von Boris Reitschuster gegen den russischen Angriffskrieg. Reitschuster leitete von 1999 bis 2015 das Moskauer Büro des Focus und verfasste mehrere kritische Bücher über die Politik Putins. Innerhalb der Kommentare seines eigenen Kanals, aber auch von anderen verschwörungsideologischen Kanälen wurde und wird er dafür teils offen angefeindet.

Viele zeigten sich enttäuscht und warfen ihm vor, “Mainstream”-Propaganda zu teilen oder gar Teil der Verschwörung zu sein. Reitschusters Kanal verlor in der ersten Kriegswoche des Jahres 2022 absolut über 10.000 Abonnent:innen; bis zum Redaktionsschluss erhöhte sich der absolute Verlust an Abonnent:innen um weitere 5.000. Der Kanal nimmt innerhalb des verschwörungsideologischen Milieus trotz dieser Entwicklungen auf Telegram mit knapp über 300.000 Abonnent:innen (Stand 11. März 2022) noch immer die Spitzenposition ein.

Gegen Putin und die Ukraine positionierte sich Oliver Janich. Er integrierte den Angriffskrieg Russlands in ein antisemitisches Weltbild, indem er beide Staatsführungen als von jüdischen Gruppierungen beeinflusst und somit Teil einer jüdischen Weltverschwörung darstellte. Ihm zufolge handele es sich bei dem Krieg um eine Inszenierung oder lediglich um Gebietsstreitigkeiten innerhalb der gleichen Weltverschwörungsgruppe. Von Bedeutung für die Dynamiken des Gesamtmilieus ist in diesem Zusammenhang, dass Janich den russischen rechtsextremen Intellektuellen Aleksandr Dugin als Teil der jüdischen Weltverschwörung und als Satanisten darstellte. Dies birgt innerhalb des Milieus Spaltungspotential, da Dugins gegen den Westen gerichtete neoeurasische Raumordnungsvorstellungen und seine sogenannte Vierte Politische Theorie besonders in den 2010er Jahren innerhalb der „Neuen Rechten“ positiv aufgenommen und verbreitet wurden.³ Trotz seiner Positionierung gegen Putin haben Janichs Aussagen zum russischen Angriffskrieg im analysierten Zeitraum zu keinem wesentlichen Verlust oder Zuwachs an Abonnent:innen geführt.

Ablenkung von COVID: Der Krieg als Teil der großen Weltverschwörung

Nicht nur Oliver Janich ordnet den Krieg in einen größeren verschwörungsideologischen Zusammenhang ein. Sehr deutlich wird innerhalb des Gesamtmilieus der Bezug zur Pandemie und den damit verbundenen Themen der Errichtung einer neuen Weltordnung (NWO) oder der Vergiftung der Bevölkerung durch Impfungen hergestellt. Eva Hermans mit 277.532 Aufrufen reichsweitenstärkstes Posting, aber auch Bodo Schiffmann und die Freien Sachsen behaupten, dass der Krieg von einer geplanten Zwangsimpfung ablenken solle. Die Kanäle AUF1, Freie Medien sowie die Kanäle von Bodo Schiffmann , Reiner Fuellmich und Oliver Janich sehen den Krieg als Teil des verschwörungsideologischen Masterplans Great Reset.⁴ Schiffmann, Janich und Reiner Fuellmich unterstellen, der Krieg solle den Umsetzungsprozess, der mit COVID-19 begonnen habe, beschleunigen. Fuellmich behauptete in einem Interview mit dem verschwörungsideologischen „alternativen“ Medium Bittel TV vom 28. Februar 2022 gar, er könne keine Kampfhandlungen in der Ukraine wahrnehmen. Auch die ältere Chiffre von der Neuen Weltordnung (NWO) wird im Zusammenhang mit dem Great Reset von AUF1 und Schiffmann genutzt. AUF1 hebt in einem der analysierten Postings besonders die Rolle von „Globalisten“ bei der Verschwörung hervor. Bei dem Begriff handelt es sich um eine antisemitische Chiffre, die besonders in verschwörungsideologischen und rechtsextremen Milieus genutzt wird.

Fazit: Pro-Russische Positionierung von den Mahnwachen zu Querdenken

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine spielt eine besondere Rolle innerhalb der deutschen verschwörungsideologischen Milieus. Eine mehrheitliche Positionierung pro Russland bzw. pro Putin ist nicht überraschend, da sie bereits seit Jahren Teil des verschwörungsideologischen Milieus ist. Die ersten Aggressionen Russlands gegen die Ukraine im Frühjahr 2014, deren Resultate unter anderem die Annexion der Krim und die Sezessions-Bestrebungen der pro-russischen „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk waren, führten zu bundesweiten pro-russischen Protesten unter dem Label Montagsmahnwachen für den Frieden, die als ideologische Vorläuferinnen der Querdenken-Proteste eingestuft werden können. Auf den Mahnwachen fanden mit Kayvan Soufi-Siavash (Ken Jebsen/KenFM/apolut), Jürgen Elsässer (COMPACT Magazin), Andreas Popp und Eva Herman (Wissensmanufaktur), Heiko Schrang, der Band Die Bandbreite oder etwa Dieter Dehm bereits Verschwörungsideolog:innen Gehör, die später auch bei Querdenken aktiv waren und sind. Andere Akteur:innen der derzeitigen Proteste traten im Rahmen der Montagsmahnwachen zum ersten Mal öffentlich in Erscheinung, wie etwa der rechtsextreme Reichsbürger und Antisemit Nikolai Nerling (Der Volkslehrer). Wie auch bei Querdenken war die Zusammensetzung der Protestierenden sehr heterogen und umfasste sich bürgerlich Gebende, Rechtsextreme, sich als links Verstehende, Esoteriker:innen sowie „Reichsbürger“ und andere Souveränist:innen. Die Protestierenden richteten sich 2014/15 gegen die offizielle Darstellung des Krieges durch westliche Regierungen und die Berichterstattung der etablierten Medien sowie eine angebliche Weltverschwörung der USA, besonders der Federal Reserve Bank, mit dem Ziel die Welt zu beherrschen.

Nicht nur personelle Kontinuitäten existieren zwischen den Mahnwachen und den aktuellen verschwörungsideologischen Protesten im Rahmen der COVID-19-Pandemie. Damals wie heute bildeten und bilden die staatsfinanzierten russischen Medien RT Deutsch und Sputnik/SNA eine wichtige „alternative“ Informationsquelle für verschwörungsideologische Milieus in Deutschland. Russland liefert mit seinen Medien Verschwörungserzählungen, Desinformationen und vermeintlich unterdrückte Perspektiven, die über ihre Ablehnung der offiziellen Darstellung Anklang finden.

In einem Folgebeitrag soll die Rolle russischer Medien für das verschwörungsideologische Milieu in der ersten Kriegswoche analysiert werden.

Quellen

Telegram

Fußnoten