CeMAS-Studie: Das Protestpotential während der COVID-19-Pandemie

Autor:innen: Dr. Pia Lamberty, Josef Holnburger, Maheba Goedeke Tort

Mit Aufkommen der COVID-19-Pandemie begann auch die verschwörungsideologische und rechtsoffene Mobilisierung in Deutschland, die sich zumindest vorgeblich gegen die staatlichen Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie als auch die Impfungen richteten.

Von Anfang an waren rechtsextreme und verschwörungsideologische Akteur:innen und Parteien in die Mobilisierung involviert. Gleichzeitig gab es lokale Unterschiede in Bezug darauf, welche Rolle die organisierte Rechte bei den Protesten spielte. Diese unterschiedliche Gemengelage erschwert Gesellschaft, Medien und Politik eine Einordnung und führt daher auch zu sehr unterschiedlichen Umgangsstrategien. Um eine empirische Antwort auf das Protestmilieu geben zu können, hat CeMAS eine repräsentative Erhebung durchgeführt, die sich mit den Protestteilnehmer:innen und ihren Einstellungen befasst.

Protestteilnahme: Wer geht aktuell auf die Straße?

Verschiedene Studien haben sich mit dem Protestpotential befasst: also der Bereitschaft an Protesten teilzunehmen. Daten, ob Menschen tatsächlich bei Protesten waren, existierten bisher aber noch nicht. Unsere Analyse zeigt: 4,3 % der Befragten aus Deutschland gaben an, mindestens einmal an den Protesten gegen die staatlichen Corona-Schutzmaßnahmen teilgenommen zu haben.  Die Protestbereitschaft und damit auch das Potential zur Mobilisierung liegt aber mehr als doppelt so hoch: Insgesamt äußerten 11,1 % der Befragten, sie wären auf jeden Fall oder eher bereit, an diesen Protesten teilzunehmen. Weitere 7,1 % gaben an, teilweise mit dem Gedanken zu spielen.1

In unserer Studie wurde auch die Bereitschaft zur Teilnahme an illegalen Aktionen gegen die Coronaschutzmaßnahmen abgefragt. Insgesamt 4,3 % der Befragten waren vollkommen oder eher bereit, auch an illegalen Aktionen teilzunehmen. Weitere knapp fünf Prozent gaben an, zumindest teilweise dazu bereit zu sein. Der Aussage „Die Zeit des friedlichen Widerstandes gegen die Maßnahmen ist vorbei“ stimmten 13,7 % eher bzw. vollkommen zu, weitere 18,5 % antworteten mit „teils/teils“.

Impfstatus und Coronainfektion: Unter ungeimpften Menschen gaben 69,2 % an, an den Protesten gegen die Corona-Schutzmaßnahmen (eher) teilnehmen zu wollen, während es bei geimpften Menschen mit mindestens einer Schutzimpfung gegen COVID-19 nur 12,5 % waren. Jeweils um die zehn Prozent waren sich unsicher. Je mehr Impfungen die Person erhalten haben, desto weniger waren sie auch bereit an den Protesten teilzunehmen, r = -.560, p < .001.

Grafik über Protestbereitschaft und Wahlabsicht in Prozent. Unter den Befragten, die angegeben haben, die AfD wählen zu wollen, sagen 59,4 % dass sie eine hohe Protestbereitschaft hätten. 13,3 % sind unentschieden, 27,2 % der AfD-Wähler:innen haben keine Protestbereitschaft. In der Grafik ist ersichtlich, dass sich die AfD-Wähler:innen damit deutlich von allen anderen Parteien unterscheidet: Am deutlichsten ist dies ersichtich bei den Grünen: Hier haben 87,0 % keine Protestbereitschaft, lediglich 7,0 % haben hier eine hohe Protestbereitschaft. Nichtwähler:innen haben den zweithöchsten Anteil mit 26,9 % hoher Protestbereitschaft.
Protestbereitschaft und Wahlabsicht

Wähler:innengruppen: Während die große Mehrheit der Wähler:innen (mindestens 67,7 %) aller demokratischer Parteien nicht an den Protesten teilnehmen würden, zeigen knapp sechzig Prozent der AfD-Wähler:innen eine hohe Protestbereitschaft.2 Ein ähnliches Muster zeigt sich bei der Aussage, dass die Zeit des friedlichen Widerstandes vorbei sei. Die höchsten Zustimmungswerte mit 28,6 % finden sich bei den Wähler:innen der AfD, gefolgt von 14,7 % der SPD-Wähler:innen und 12,4 % der Linken-Wähler:innen. Die niedrigsten Zustimmungswerte finden sich bei Wähler:innen der Grünen mit 5,5 %.3

Auch die Bereitschaft zur Teilnahme an illegalen Aktionen gegen die COVID-19-Schutzmaßnahmen ist bei Wähler:innen der AfD deutlich höher ausgeprägt als bei allen anderen Gruppen. Während die Zustimmung bei der AfD bei 16,6 % liegt, stimmen Wähler:innen der anderen Parteien nur im einstelligen Prozentbereich einer Teilnahme an illegalen Aktionen zu (zwischen 1,2 % bei Die Linke und 3,3 % bei Wähler:innen der CDU/CSU).

Welche Einstellungen vertreten die Protestierenden und Protestbereiten?

Mehrere Grafiken zur Zustimmung zu Verschwörungserzählungen. Derunter eine Grafik über die Zustimmung zur Aussage „Dunkle Mächte nutzen das Virus, um die Welt zu beherrschen“. Hervorgehoben sind Personen mit hoher Protestbereitschaft: 24,2 % geben an, dieser Aussage eher oder vollkommen zuzustimmen. Dem stimmen 11,9 % der unentschiedenen zu und 2,5 % derjenigen mit niedriger Protestbereitschaft. Eine Grafik über die Zustimmung zur Aussage „Die COVID-19-Impfungen wurden in die Welt gebracht, um die Bevölkerungsanzahl zu reduzieren“. Hervorgehoben sind Personen mit hoher Protestbereitschaft: 26,9 % geben an, dieser Aussage eher oder vollkommen zuzustimmen. Dem stimmen 9,4 % der unentschiedenen zu und 2,1 % derjenigen mit niedriger Protestbereitschaft. Eine Grafik über die Zustimmung zur Aussage „Das Virus wird absichtlich als gefährlich dargestellt, um die Öffentlichkeit in die Irre zu führen“. Hervorgehoben sind Personen mit hoher Protestbereitschaft: 53,8 % geben an, dieser Aussage eher oder vollkommen zuzustimmen. Dem stimmen 19,7 % der unentschiedenen zu und 4,4 % derjenigen mit niedriger Protestbereitschaft.
Verschiedene Verschwörungserzählungen und deren Zustimmung in Prozent

Die Dominanz von Verschwörungserzählungen im Kontext des Protestgeschehens war durchaus sichtbar – allerdings fehlten bisher belastbare Zahlen über die Zustimmung unter den Protestierenden und Protestbereiten. Unsere Daten zeigen sehr eindeutig, dass die Zustimmung zu Verschwörungserzählungen bei Protestbereiten signifikant höher ist als in der übrigen Bevölkerung. Unter den Menschen mit niedriger Protestbereitschaft stimmen nur 4,9 % der Aussage zu, dass es viele Impftote geben würde, die von den Eliten systematisch vor der Gesellschaft verheimlicht werden würden – eine Aussage, die 43,7 % der Menschen mit hoher Protestbereitschaft vertreten. Der Vergleich der aktuellen Maßnahmen mit dem Nationalsozialismus findet nur bei 3,0 % derer Zustimmung, die kein Interesse haben, an den Protesten teilzunehmen, während 37,6 % der Menschen mit hoher Protestbereitschaft diese geschichtsrevisionistische Haltung vertreten.4

Protestverhalten und Telegram

Die Rolle Telegrams für die Mobilisierung und Verbreitung von Verschwörungserzählungen war Teil vieler Berichterstattungen. Daten, die sich mit Sozialen Medien als Informationsquelle und Protestverhalten befassen, existierten bisher allerdings noch nicht. In dieser Studie konnten wir dies erstmalig erheben. Das Ergebnis: Je höher die Protestbereitschaft, desto eher wurde Telegram als Informationsquelle genutzt. Während bei den Menschen mit niedriger Protestbereitschaft nur 6,3 % sagten, sie würden sich über Telegram täglich oder mehrfach pro Woche informieren, sind es bei denen mit hoher Protestbereitschaft 24,7 %.

Grafik zur Telegram-Nutzung und Portestbereitschaft. Während bei den Personen mit niedriger Portestbereitschaft 83,6 % angeben, nie Telegram zu nutzen ist dies nur bei 55,3 % der Personen mit hoher Protestbereitschaft der Fall: Hier geben 15,8 % an, dass sie Telegram täglich nutzen, 8,9 % mehrfach pro Woche. Diese Werte sind bei Personen mit niedriger Protestbereitschaft lediglich etwa 3 %.
Telegram-Nutzung und Protestbereitschaft

Insgesamt zeigt sich: Je stärker Menschen insbesondere Telegram als Informationsquelle nutzen, desto eher waren sie auch bereit zu protestieren, r = .324, p <.001, oder sich illegalen Aktionen anzuschließen, r = .297, p < .001 und desto stärker stimmten sie den verschiedenen Verschwörungserzählungen zu, r = .296, p <. 001. Bei anderen Social Media-Plattformen waren diese Effekte geringer oder nicht signifikant.

Fazit

Mehr als vier Prozent der Menschen in Deutschland haben bereits an Protesten gegen die Coronaschutzmaßnahmen teilgenommen. Das Mobilisierungspotential für solche Demonstrationen liegt jedoch doppelt so hoch: Mehr als jede:r Zehnte in Deutschland wäre bereit in Zukunft an Protesten teilzunehmen. Das ist besorgniserregend, denn die Pandemie ist noch nicht vorbei und die letzten zwei Jahre haben gezeigt, dass sich das Milieu immer wieder neu erfindet und verschiedene Protestformen ausprobiert. Die Einführung einer Impfpflicht wird schon jetzt für die Mobilisierung genutzt. Eine mögliche neue Welle im Herbst könnte ihr erneut Aufwind geben. Darüber hinaus können auch andere Konflikte und Katastrophen zur Mobilisierung genutzt werden. Die Protestierenden mögen aus unterschiedlichen Milieus stammen und von außen heterogen wirken, innerhalb der Protestierenden nimmt man sich jedoch als Einheit („ein Volk“) wahr, dass sich gegen die „Feinde“ wehrt. Unsere Studie verdeutlich auch noch einmal: Bei der Bereitschaft an Protesten teilzunehmen, spielen Impfstatus (eher ungeimpft), ein ausgeprägter Verschwörungsglaube und Wahlabsicht (eher AfD) eine Rolle. Auf fast allen größeren Protesten aus dem Milieu konnte CeMAS eine Normalisierung rechtsextremer Positionen beobachten.

Die Methodik zur Studie

In dieser Studie wurde eine repräsentative Stichprobe der deutschen Bevölkerung zu ihren Einstellungen und Verhaltensweisen befragt. Der Fokus der Befragung lag auf Verschwörungserzählungen sowie Einstellungen zu den eindämmenden Schutzmaßnahmen in der COVID-19-Pandemie. Die Rekrutierung der Teilnehmer:innen war so geplant, dass die Stichprobe die Verteilung in der Gesamtbevölkerung nach zentralen Parametern wie Alter, Geschlecht und Bundesland widerspiegelt. An der Befragung, die vom Marktforschungsinsitut Bilendi & respondi online durchgeführt wurde, nahmen in Deutschland 2.202 Personen über 18 Jahre im Zeitraum von 17. Januar 2022 bis 22. Januar 2022 teil. Nach der Datenbereinigung konnten die Daten von 1.970 Personen verwendet werden.  Die Befragung erfolgte mittels eines standardisierten Fragebogens, welcher neben soziodemographischen Angaben zu Geschlecht, Alter, Schulbildung, Einkommen, politischer Einstellung und Angaben zum Impfstatus auch Messinstrumente zur Erfassung von politischen und weltanschaulichen Einstellungen, der Verbreitung von Verschwörungserzählungen und dem Protestgeschehen enthielt. Ein Teil der Messinstrumente wurde bereits in anderen Umfragen eingesetzt.

Die hier veröffentlichten Daten sind Bestandteil eines größeren Forschungsprojektes, das von der Alfred Landecker Foundation gefördert wird.

Fußnoten

1 Die Ergebnisse zum Protestpotential decken sich mit anderen Erhebungen, die auf ähnliche Werte kommen wie bspw. COSMO (siehe https://projekte.uni-erfurt.de/cosmo2020/web).

2 Das Muster bestätigt sich auch für die tatsächliche Teilnahme an den Protesten: Während bei der AfD-Wähler:innenschaft fast zwanzig Prozent angaben, bereits bei Protesten gewesen zu sein, sind die Werte bei allen anderen Parteien zwischen zwei und drei Prozent..

3 Diese Aussage ist nicht eindeutig und kann sowohl normativ („Ich finde es richtig, dass die Zeit des friedlichen Widerstandes vorbei ist“) und deskriptiv („Ich habe den Eindruck, dass die Zeit des friedlichen Widerstandes vorbei ist“) verstanden werden. Wir haben daher verschiedene statistische Tests durchgeführt und konnten zeigen, dass die Zustimmung zu dieser Aussage beispielsweise mit der Bereitschaft zu illegalen Aktionen stark korreliert, was eher auf ein normatives Verständnis hindeutet, r = .409, p < .001. Die Stärke der Korrelation unterschied sich dabei aber signifikant für beispielsweise Wähler:innen der SPD, r = .267, p < .001, im Vergleich zu Anhänger:innen der AfD, r = .527, p < .001.

4 Das gleiche Muster findet sich auch bei den Menschen, die tatsächlich auf den Protesten waren: Sie glaubten signifikant stärker an Verschwörungserzählungen und geschichtsrevisionistische Aussagen über die Pandemie. Da aber die Anzahl der Protestteilnehmenden in der repräsentativen Befragung nur einen Anteil von 4,3 % einnehmen, sind weitergehende Aussagen darüber, welche Einstellungen diese Subgruppe vertritt, statistisch nicht mehr valide auswertbar. Im Einklang mit wissenschaftlichen Standards verzichten wir hier deshalb auf einen detaillierten Bericht der Prozentwerte.

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