Psychologische Interventionen gegen Desinformation

Autor:innen: Carolin-Theresa Ziemer

Sprechen wir über Desinformation, entsteht oft ein falscher Eindruck von Hilflosigkeit. Jedoch haben Forscher:innen einen Kanon psychologischer Interventionen entwickelt, um den Einfluss von Desinformation einzudämmen. Einige dieser Maßnahmen helfen sogar dabei, uns proaktiv zu schützen, bevor wir überhaupt mit Desinformation in Kontakt kommen.

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, die COVID-19-Pandemie, die Klimakrise sowie politische Wahlen sind alle eng verknüpft mit einem Thema: Desinformation. Desinformationen sind falsche, inakurrate oder irreführende Informationen, die mit einer bewussten Täuschungsabsicht verbreitet werden.1 Obwohl die konkreten Auswirkungen von Desinformationen zu diesen Ereignissen noch erforscht werden, zeigen zahlreiche Forschungsarbeiten bereits, dass Desinformation unsere Wahrnehmung und unser Verhalten beeinflussen können.2 Darum gibt es eine Vielzahl an Disziplinen, die sich mit Strategien der effektiven Abwehr von Desinformation befassen. Neben der automatischen Erkennung von Desinformation, der Schaffung von wirksamen, rechtlichen Regulationen von Social Media Plattformen sowie weiteren Maßnahmen auf Ebene von Politik, Medien und Ökonomie, gibt es eine Reihe von psychologischen Interventionen gegen Desinformation. Diese zielen darauf ab, die individuelle Anfälligkeit gegenüber Desinformation zu reduzieren oder bestehende, falsche Überzeugungen zu korrigieren.

Was macht uns anfällig für Desinformation?

In der politischen Psychologie gibt es verschiedene Theorien, die erklären, warum wir anfällig für Desinformation sind. Lange waren Forscher:innen der Ansicht, dass vor allem kognitive Fähigkeiten wie analytisches Denken sowie die Gründlichkeit, mit der wir Informationen verarbeiten darüber entscheiden, ob Menschen Unstimmigkeiten und Fehler auffallen.3 Eine andere Theorie benennt bestehende Überzeugungen von Personen als maßgebenden Risikofaktor.4 Mittlerweile sprechen die meisten Befunde für einen integrativen Ansatz: Sowohl kognitive Fähigkeiten, Gründlichkeit, als auch bestehende Überzeugungen tragen wesentlich dazu bei, wie anfällig Menschen gegenüber Desinformation sind.5

Arten psychologischer Interventionen gegen Desinformation

Auf Basis einer systematischen Literaturrecherche von über 3.000 wissenschaftlichen Artikeln haben wir, ein Forschungsteam der Friedrich-Schiller Universität Jena, eine Landkarte von psychologischen Interventionen gegen Desinformation erstellt. Diese besteht aus den fünf Hauptkategorien Boosting, Inoculation, Identity Management, Nudging und Fact-Checking. Boosting, Inoculation und Identity Management Interventionen sind sogenannte Prebunkingansätze, die zeitlich vor dem Kontakt mit Desinformation ansetzen. Nudges hingegen werden neben potentieller Desinformation präsentiert. Dahingegen versuchen Fact-Checking Interventionen Fehlüberzeugungen zu korrigieren, die durch Kontakt mit Desinformation entstanden sind.5

Psychologische Interventionen gegen Desinformation: The Disinformation Internvention Map; Vor Kontakt mit Desinformation: Boosting (Knowledge, Media Literacy), Inoculation (Warning, Classic Inoculation, Strategic Inoculation), Identitätsmanagement (Self-Affirmation, Perspective Talking); Während Kontakt mit Desinformation: Nudging (Accuracy, Credibility, Lateral Reading, Social Norm); Nach Kontakt mit Desinformation: Fact-Checking (Flagging, Social Validation, Expert Correction)
  • Boosting stärkt Wissen und Fähigkeiten, um die Anfälligkeit von Personen gegenüber Desinformation zu verringern. Wir unterscheiden zwischen dem bloßen Vermitteln von Wissen über Themenbereiche, in denen Desinformation häufig vorkommt, z.B. zum Klimawandel (Knowledge) und dem Vermitteln von Kompetenzen im Umgang mit Medien, Informationen und wissenschaftlichen Befunden (Media Literacy).
  • Inoculation ist eine Technik zur Bildung von mentaler Resistenz gegen Desinformation durch die Vermittlung von Argumenten (Classic Inoculation) oder Strategien (Strategic Inoculation), welche typischerweise in Desinformation vorkommen. Einige Inoculationinterventionen warnen Personen lediglich vor dem Auftreten von Desinformation (Warning).
  • Identitätsmanagement ist eine Interventionsklasse zur Verringerung von negativen Gefühlen, die durch Informationen ausgelöst wird, welche im Widerspruch zu eigenen Überzeugungen stehen. Da viele Menschen es als unangenehm erleben mit Informationen konfrontiert zu werden, die ihren Überzeugungen widersprechen, versuchen Identitätsmanagementinterventionen Personen offener gegenüber Korrekturen und kritischer gegenüber Desinformation zu machen. Self-Affirmations bestärken Personen positiv in Ihrem Selbstwert (z. B. durch die Wertschätzung einer ihrer Charaktereigenschaften) und soll dazu führen, dass Personen die anschließende Konfrontation mit Informationen, die Ihren Überzeugungen widerspricht, als weniger unangenehm erleben. Eine andere Möglichkeit, um mehr Offenheit zu schaffen besteht darin, Personen aktiv aufzufordern, eine andere Perspektive auf eine Situation einzunehmen (Perspective Taking).
  • Nudges sind Hinweisreize in der Kommunikationsumgebung, welche die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Individuen Desinformation identifizieren. Wir unterscheiden zwischen Aufforderungen zum akkuraten Prüfen von Informationen (Accuracy Nudge), dem optischen Hervorheben von Quellen in Social Media Beiträgen (Credibility Nudge), der Betonung der Wichtigkeit von Normeinhaltung im Umgang mit anderen Usern (Social Norm Nudge) und dem Hinweis, fragliche Information anhand von anderen Quellen zu überprüfen (Lateral Reading Nudge).
  • Fact-Checks markieren und/oder korrigieren Desinformation. Wir unterscheiden zwischen Labels, die Desinformation als solche markieren (Flags), textbasierte Korrekturen durch andere Social Media User z.B. in der Kommentarspalte (Social Invalidation) und textbasierte Korrekturen, welche von professionellen Faktenchecker:innen vorgenommen wurden (Expert Correction).

Die meiste Forschungsaktivität fließt in Fact-Checking, Identitätsmanagement wird kaum untersucht

Über 60 % aller Studien zu psychologischen Interventionen untersuchen das Fact-Checking. Boosting (15 %), Nudging (10 %), Inoculation (6%) und Identitätsmanagement (1%) werden deutlich seltener erforscht. Dabei zeigen Studien, dass Desinformation selbst nach deren Korrektur noch einen Einfluss auf unser Denken hat und nur eine umfangreiche Korrektur Wissensstrukturen effektiv überschreiben kann.6 Psychologisch betrachtet ist es zudem für Viele äußerst unangenehm mit Informationen konfrontiert zu werden, die ihre Weltsicht in Frage stellen. Das kann zur Ablehnung von korrigierender Information führen.7 Daher zeigen Fact-Checking Interventionen oft nur Erfolg bei jenen, die ideologisch grundsätzlich mit der Richtung der Korrektur übereinstimmen. Doch wie überzeugt man die, deren Weltbild ein anderes ist? Hier braucht es mehr Forschung zu Ansätzen, die sich mit den psychologischen Bedürfnissen beschäftigen, die durch Desinformation befriedigt oder durch deren Korrektur bedroht werden. Identitätsmanagementinterventionen stellen hierbei interessante Ansätze dar, werden von der Forschung bisher jedoch kaum beachtet.

Zwei Drittel aller Studien stammen aus den USA, kaum Forschung im Globalen Süden

Wir halten es für entscheidend, Interventionen gegen Desinformation in Zukunft mit kulturell vielfältigeren Stichproben zu untersuchen. 71 % der Studien in unserem Datensatz wurden mit US-Stichproben durchgeführt, nur zwei Studien stammen aus Ländern des Globalen Südens.8 9 Desinformation entsteht, verbreitet sich und wirkt jedoch in Abhängigkeit von spezifischen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Kontexten. Kulturspezifische Normen wie beispielsweise, dass ältere Menschen nicht korrigiert werden sollten, könnten die Wirksamkeit von Fact-Checking Interventionen stark beeinträchtigen.10

Kombinierte Interventionen als Toolbox

Abschließend möchten wir betonen, dass die Widerstandsfähigkeit einer Person gegen Desinformation am meisten von einer Kombination verschiedener Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen profitiert. Dies kann eine Zusammenstellung von unterschiedlichen psychologischen Ansätzen verbunden mit strengeren rechtlichen Regelungen auf der Makroebene bedeuten, zum Beispiel von Social Media Plattformen. Wir benötigen verbundene Lösungsansätze unterschiedlichster Bereiche und Disziplinen, um Desinformation in Zukunft wirksam zu begegnen.

Der komplette Artikel liegt aktuell als Preprint vor.

Über die Gastautorin: Carolin Ziemer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaft der Friedrich Schiller Universität Jena. Ihre Forschung konzentriert sich auf die Gestaltung von wirksamen psychologischen Interventionen gegen Desinformation sowie ideologisch verzerrte Wahrnehmungen.

Fußnoten

1 Fallis, D. (2015). What Is Disinformation? Library Trends, 63(3), 401–426.

2 Für eine Übersicht siehe Roozenbeek, J., & Van der Linden, S. (In Vorbereitung). The Psychology of Misinformation. Cambridge. Cambridge University Press.

3 Petty, R. E., & Cacioppo, J. T. (1986). The Elaboration Likelihood Model of Persuasion. In L. Berkowitz (Ed.), Advances in Experimental Social Psychology (Vol. 19, pp. 123–205). Academic Press.

4 Kunda, Z. (1990). The case for motivated reasoning. Psychological Bulletin, 108(3), 480–498. https://doi.org/10.1037/0033-2909.108.3.480

5 Van Bavel, J. J., Harris, E. A., Pärnamets, P., Rathje, S., Doell, K. C., & Tucker, J. A. (2021). Political psychology in the digital (mis)information age: A model of news belief and sharing. Social Issues and Policy Review, 15(1), 84–113.

6 Lewandowsky, S., Cook, J., Ecker, U. K. H., Albarracín, D., Amazeen, M. A., Kendeou, P., Lombardi, D., Newman, E. J., Pennycook, G., Porter, E. Rand, D. G., Rapp, D. N., Reifler, J., Roozenbeek, J., Schmid, P., Seifert, C. M., Sinatra, G. M., Swire-Thompson, B., van der Linden, S., Vraga, E. K., Wood, T. J., Zaragoza, M. S. (2020). The Debunking Handbook 2020. Verfügbar unter https://sks.to/db2020. DOI:10.17910/b7.1182

7 Taber, C. S., & Lodge, M. (2006). Motivated Skepticism in the Evaluation of Political Beliefs. American Journal of Political Science, 50(3), 755–769. http://www.jstor.org/stable/3694247

8 Rustan, A. (2020). Communication through Indonesian Social Media: Avoiding Hate Speeches, Intolerance, and Hoaxes. Journal of Social Studies Education Research, 11(2), 174-185.

9 Guess, A. M., Lerner, M., Lyons, B., Montgomery, J. M., Nyhan, B., Reifler, J., & Sircar, N. (2020). A digital media literacy intervention increases discernment between mainstream and false news in the United States and India. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 117(27), 15536–15545.

10 Wassermann, H., & Madrid-Morales, D. (2022). Disinformation in the Global South. Wiley.

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