Wie QAnon-Anhänger:innen die Bundestagswahl prägen

Am 26. September sind in Deutschland 60 Millionen Wahlberechtigte dazu aufgerufen, die Mitglieder des deutschen Bundestags zu wählen. Für viele von ihnen spielen digitale Plattformen eine wichtige Rolle im Prozess der Meinungsbildung: wen sie wählen, ob sie wählen – und auch: ob sie die Wahl als demokratischen Prozess akzeptieren. Einer Gruppierung kommt dabei in diesem Wahljahr zum ersten Mal eine Bedeutung zu: der QAnon-Bewegung. 150.000 Menschen folgen Deutschlands größtem QAnon-Kanal auf Telegram. Sie sympathisieren mit verschwörungsideologischen Gedanken, die sich zentral um ein Narrativ drehen: Die Aberkennung der Wahlen als demokratischen Prozess. Wie verändert das die Wahl, welche Narrative konnten sie in den breiteren Diskurs einstreuen – und mit welchen Konsequenzen?

Der Blick in die USA alarmiert: Als am 6. Januar 2021 das US-Kapitol gestürmt wurde, war dies das logische Finale der Erzählung einer angeblichen „gestohlenen Wahl“. QAnon-Anhänger:innen waren in der ersten Reihe dabei. Und hierzulande? Bereits bei dem „Sturm auf den Reichstag“ spielten eine QAnon-Anhängerin und QAnon-Erzählungen eine zentrale Rolle. Nach ihrem Deplatforming und der Amtseinführung von Biden ist die QAnon-Bewegung in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mehr ganz so präsent – verschwunden ist sie jedoch nicht, sondern zunehmend verstärkt auf anderen Plattformen aktiv. Wie stehen ihre Anhänger:innen zur diesjährigen Bundestagswahl und welchen Einfluss haben sie auf Desinformationskampagnen?

Der Weg von QAnon nach Deutschland

Deutschland hat die weltweit größte nicht-englischsprachige QAnon-Community. Ihre Kommunikation findet nach ihrem Deplatforming nun auf dem Imageboard 8Kun statt, auf eigenen Social Media Seiten, aber vor allem auf Telegram. Zum Vergleich: Der größte englischsprachige QAnon-Kanal hat 330.000 Abonnent:innen. Der größte deutschsprachige Kanal 150.000 Abonnent:innen. Durch die besondere Rolle von Donald Trumps als „Erlöserfigur“ sind die Themen stark auf den amerikanischen Diskurs fokussiert. Der Community gelang es jedoch, QAnon-Erzählungen aus den USA für den deutschen Kontext zu adaptieren. Durch die Nähe der deutschen und amerikanischen QAnon-Bewegung zu klassisch rechtsextremen Akteuren verbreiten sich über das QAnon-Netzwerk weltweit rechtsextreme Erzählungen – und das in einem rasanten Tempo. Dadurch beschleunigen sie auch die Globalisierung der rechtsextremen Szene. Sie sind dabei deutlich schneller und effektiver als die Alt-Right-Bewegung vor einigen Jahren.

Dominiert wurde dieser internationale Austausch vor allem von Erzählungen um Donald Trump und die ihm angeblich gestohlene Wahl. Die deutsche Community war dabei jedoch nicht nur passiver Übersetzer, sie steuerte dem Diskurs auch eigene Erzählungen bei, die sogar von US-Kongressabgeordneten verbreitet wurde – etwa, dass die US-Wahl von deutschen Servern aus Frankfurt manipuliert worden sei.

Es gibt eine zentrale These, die aus den USA nach Deutschland transportiert wurde – sie zielt darauf, Misstrauen in den Wahlprozess zu schüren. QAnon-Anhänger:innen in den USA behaupten, dass ein Wahlbetrug sowohl durch die Briefwahl („voting by mail“) als auch durch die Wahlmaschinen der Firma Dominion, die teilweise zur Stimmauszählung genutzt wurden, erfolgt sei. Keine staatliche Untersuchung konnte jedoch einen Wahlbetrug feststellen und alle Klagen gegen das amtliche Wahlergebnis waren erfolglos. Dominion verklagt derzeit den Sender Fox News, der diese Falscherzählungen über sie mitverbreitete, auf 1,6 Milliarden wegen Verleumdung.

Auch in Deutschland versuchen QAnon-Anhänger:innen das Vertrauen in die Legitimität der anstehenden Bundestagswahlergebnisse zu schmälern. Zwei zentrale Erzählungen sind dabei zu erkennen: Die wiederholte Prophezeiung eines vermeintlichen Wahlbetrugs und die generelle Aberkennung der Notwendigkeit dieser Wahl durch die Beschwörung einer vermeintlichen Schattenregierung SHAEF. Beides wollen wir uns hier ansehen:

Zentrales Narrativ: Wahlbetrug

Die Erzählung um angeblichen Wahlbetrug in Deutschland ist nicht neu. Seit Februar 2016 ruft etwa der vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall geführte Verein Ein Prozent unter dem Motto „Merkel auf die Finger schauen! Wahlbetrug verhindern!“ zur Wahlbeobachtung auf. Auch verschiedene Landesverbände der AfD riefen schon im März 2016 zur Wahlbeobachtung auf. Breiten Erfolg konnten solche Kampagnen jedoch nicht erzielen. Trumps Kampagne um seinen angeblichen Wahlbetrug wurde hingegen von der Mehrheit des deutschen verschwörungsideologischen und rechtsextremen Spektrums als erfolgreich bewertet und breit rezipiert. Die QAnon-Bewegung war einer der aktivsten Akteure in der Verbreitung dieser Erzählung und trug maßgeblich zu ihrer Popularisierung bei.

In den Telegramkanälen und -gruppen des verschwörungsideologischen und rechtsextremen Milieus ist das Thema Wahlbetrug seit der US-Wahl zu einem Grundrauschen geworden. Als die AfD in der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Juni 2021 deutlich schlechter als in den Umfragen abschnitt, erlebte das Thema wieder einen Aufschwung.

Erwähnungen von „Wahlbetrug“ innerhalb des CeMAS-Datensatzes, der die Telegram Gruppen und Kanäle des deutschsprachigen verschwörungsideologischen Milieus umfasst.

Und auch in der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt wurde der angebliche Wahlbetrug unter anderem mit dem angeblichen Einsatz der Wahlmaschinen von Dominion begründet.

Beitrag über angebliche Wahlmanipulation durch Dominion in der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt in einer QAnon-Gruppe mit 23.000 Abonnent:innen. Beitrag über angebliche Wahlmanipulation durch Dominion in der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt in einer QAnon-Gruppe mit 23.000 Abonnent:innen.

Doch: Da in Deutschland keine Wahlautomaten eingesetzt werden, ist die Behauptung einer Manipulation durch Wahlautomaten von Dominion eine reine Wiederholung der US-Erzählungen.

Erwähnungen von „Dominion“ innerhalb des CeMAS-Datensatzes, der die Telegramgruppen und -kanäle des deutschsprachigen verschwörungsideologischen Milieus umfasst.

Eine weitere Wiederholung einer US-spezifischen Debatte sehen wir in der Zunahme der Debatte um die Briefwahl. Auch in einschlägigen deutschen Telegramgruppen nimmt die Diskussion um vermeintlich auf diese Weise herbeigeführten Wahlbetrug zu, wie unsere empirische Auswertung aus dem Jahr 2021 zeigt:

Erwähnungen von „Briefwahl“ innerhalb des CeMAS-Datensatzes, der die Telegramgruppen und -kanäle des deutschsprachigen verschwörungsideologischen Milieus umfasst.

Zentrales Motiv: Die angebliche Schattenregierung SHAEF

Ein weiteres zentrales Motiv für die Bewegung in Deutschland ist das Propagieren einer angeblichen Schattenregierung namens SHAEF. SHAEF war das „Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force“, also das Oberkommando der Alliierten Expeditionsstreitkräfte im Zweiten Weltkrieg. Es wurde zwei Monate nach der Kapitulation der Wehrmacht aufgelöst. Souveränist:innen und “Reichsbürger”, die an eine seither andauernde oder später wiedereinsetzende Besatzung Deutschlands durch die Alliierten glauben, berufen sich häufig darauf, dass die damaligen SHAEF-Gesetze noch gelten würden. Mit dem Aufkommen und der Integration der QAnon-Verschwörungsideologie in das souveränistische Milieu hat sich der positive Bezug auf eine alliierte Besatzung verstärkt: Das SHAEF erscheint nun als Schutzinstanz vor der „deutschen Verwaltung“. Über diese Erzählung verschmolzen schon zu Beginn der Pandemie (und damit dem Beginn des enormen Wachstums von QAnon in Deutschland) Reichsbürgererzählungen und die QAnon-Bewegung. Seit dem 14. August 2021 sehen wir einen rasanten Anstieg der Erzählung um SHAEF auf Telegram.

Erwähnungen von „SHAEF“ innerhalb des CeMAS-Datensatzes, der die Telegramgruppen und -kanäle des deutschsprachigen verschwörungsideologischen Milieus umfasst.

Aus dem Glauben an einen baldigen Umsturz durch die Schattenregierung SHAEF schlussfolgern die Anhänger mehrere Positionen zur anstehenden Bundestagswahl. Einige Telegramgruppen mobilisieren für einen „Tag X“, denn in ihrer Wahrnehmung würde dieser die Wahl unnötig machen, da SHAEF direkt regieren würde.

Beitrag über das Ziel die Wahl zu verhindern, in einer Telegram Gruppe die zu einem „Tag X“ mobilisiert Beitrag über das Ziel die Wahl zu verhindern, in einer Telegram Gruppe die zu einem „Tag X“ mobilisiert

Andere wiederum glauben, eine Wahlbeteiligung von unter 50 % führe dazu, dass die „Besatzung“ ihre Legitimität verliere und SHAEF direkt zur Macht verhelfen würde. Für sie sind die in der Szene sonst beliebten Parteien wie die AfD und dieBASIS auch nur weitere vom System erstellte Ablenkungen.

Beitrag in einer QAnon-Gruppe mit über 24.000 Abonnent:innen über die angebliche Regelung nach der SHAEF bei einer Wahlbeteiligung von unter 50% Deutschland übernehmen würde. Beitrag in einer QAnon-Gruppe mit über 24.000 Abonnent:innen über die angebliche Regelung nach der SHAEF bei einer Wahlbeteiligung von unter 50% Deutschland übernehmen würde.

Die Narrative „Wahlbetrug“ und „SHAEF“ – was sind die Konsequenzen?

Wenn Menschen die Ergebnisse von Wahlen für ungültig halten, werden sie sich auch nicht mehr an die Gesetze der Regierung halten und sich den gesellschaftlichen Regeln entziehen. Wir beobachten bereits jetzt: Digitale Erzählungen bleiben nicht im digitalen Raum. Im September schoss ein Reichsbürger in Hessen mit einer Armbrust auf einen Polizisten. Beim Widerstand gegen eine Zwangsvollstreckung in Stuttgart wehrte sich ein Mann gegen die Polizist:innen und probierte, SHAEF um Hilfe zu rufen. Die derzeit gefühlte Hoffnungslosigkeit der Corona-Leugner:innen scheint viele tiefer ins Netz der alternativen Wirklichkeiten um QAnon und die „Reichsbürger“ zu ziehen. Die ständige Enttäuschung über nicht eingetretene Erlösungsdaten bietet ein großes Gewaltpotential. Wenn der in den Communitys beschriebene drohende Untergang nicht durch externe Kräfte verhindert wird, können sich Anhänger:innen gezwungen sehen, es selbst in die Hand zu nehmen. Eine angeblich „gestohlene Wahl“ wird ihre Radikalisierung dabei weiter anheizen.

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