Kaltakquise im Briefkasten: Radikalisierungsangebote im analogen Raum

Wenn es um die Verbreitung von Desinformation, Verschwörungsideologie oder rechtsextremen Inhalten geht, steht als Schauplatz meist der digitale Raum im Vordergrund. So kann der Eindruck entstehen, es handele sich um rein digitale Risiken. Aber auch außerhalb des  Internets findet die Radikalisierungsakquise des rechtsextremen und verschwörungsideologischen Milieus statt. Rechtsextreme Parolen, verschwörungsideologische Feindmarkierungen und vertrauenszersetzende Impulse werden auch im analogen Raum verbreitet, wie die folgenden Beispiele zeigen. 

Sticker im öffentlichen Raum: Präsenz simulieren und Weltanschauung verbreiten 

Aufkleber machen im öffentlichen Raum auf Themen und Veranstaltungen aufmerksam. Neben harmlosen Inhalten werden jedoch auch verschwörungsideologische und rechtsextreme Themen vermittelt. Rechtsextreme wollen Präsenz zeigen und Gebiete markieren, menschenverachtendes Gedankengut vermitteln und dieses durch die wiederholte Platzierung im Alltag als verbreiteter darstellen, als es ist. Die Aufkleber verbreiten rassistische und demokratiefeindliche Parolen, markieren Feindbilder wie die Grünen oder die Regierung oder propagieren “Frieden mit Russland” oder ostdeutsche Identität. Aktuelle Aufkleber enthalten auch Handlungsaufforderungen, werben für Demonstrationen oder rechtsalternative Medien. Wiederholt wurden Fälle bekannt, in denen die rechtsextremen Aktivist:innen, die die Sticker verklebt hatten, darunter Rasierklingen angebracht hatten, damit sich Menschen verletzen, die sie entfernen wollen.  

Rechtsextremer Online-Shop der Freie Sachsen.
Screenshot des Onlineshop der rechtsextremen Kleinstpartei "Freie Sachsen". Angeboten werden Sticker mit rechtsextremen Parolen, Verschwörungserzählungen und Impfgegner-Inhalten.

Die Verbreitung der Aufkleber wird auch über Online-Shops befördert, wie Screenshots der Webseiten der rechtsextremen Kleinpartei Freie Sachsen sowie des rechtsextremen, selbsternannten Alternativmediums AUF1 zeigen. Sie sind damit zugleich eine Propagandaform und eine Verdienstmöglichkeit. 

Rechtsextremer Onlineshop AUF 1
Screenshot eines rechtsextremen Online-Shops des Senders AUF 1. Angeboten werden Sticker mit rechtsextremen Parolen, Verschwörungserzählungen und Impfgegner-Inhalten.

Schulhof, U-Bahn und Briefkasten: Flyer und Folder 

Insbesondere während der COVID-19-Pandemie wurden wiederholt Flyerkampagnen bekannt, durch die Desinformation und Verschwörungserzählungen direkt im heimischen Briefkasten landeten. Je professioneller solche Flyer gestaltet sind, desto eingehender müssen sich Empfänger:innen mit dem Inhalt beschäftigen, um den Wahrheitsgehalt bewerten zu können. Dass die jugendliche Zielgruppe für Rechtsextreme weiterhin relevant ist, zeigte sich jüngst anhand einer Flyerkampagne der rechtsextremen Identitären Bewegung. Auf Schulhöfen waren Flyer mit rassistischen Narrativen aufgetaucht, die Jugendliche anwerben sollten. Der Flyertext schließt mit dem Appell: „Wehr dich, werde aktiv!“. 

Telegram-Kanal des Alternativmediums AUF1: Werbung für Materialien
Telegram-Kanal des Alternativmediums AUF1: Werbung für Materialien

Auch das rechtsextreme, selbsternannte Alternativmedium AUF1 bemüht sich um die Verbreitung der eigenen Weltsicht auf Papier, etwa durch das Auslegen von Foldern in der Wiener U-Bahn. Darin wurde das antisemitische Verschwörungsnarrativ einer angeblichen neuen Weltordnung verbreitet sowie Eigenwerbung platziert: demnach solle man AUF1 konsumieren, um Dinge zu erfahren, die die angeblichen „Mainstreammedien“ verbergen wollten. Diese und weitere Folder werden ebenfalls zur Bestellung angeboten, wozu der rechtsextreme Sender seine Abonnent:innen wiederholt auf Telegram aufruft. Das Faltblatt solle „hinausgetragen werden zu den Leuten, die sich noch nicht so sehr beschäftigt haben mit dem ‚Great Reset‘“, man möge „Mitmachen bei der Aufklärung“.  

Irreführung im seriösen Gewand: Vermeintliche Zeitungen als Postwurfsendung 

Neben kompakten Formaten wie Stickern und Faltblättern wird die analoge Verbreitung von rechtsextremen Inhalten, Verschwörungsideologie und Desinformation auch mit größerem Aufwand betrieben. In Form von seriös anmutenden vermeintlichen Zeitungen werden Irreführung und gesellschaftliche Spaltung dabei direkt in den heimischen Briefkasten eingeworfen.  So stellt sich beispielsweise die aus dem Querdenken-Umfeld stammende, selbsternannte Bürger:innenzeitung Klartext in den Regionen Rhein-Main und Oberbayern __als Printmedium von lokalen Bürger:innen für Bürger:innen dar, das laut Eigenaussage unter anderem die Werte „Ehrlichkeit“, „Authentizität“, „Keine Bewertung“ und „Lösungsorientierung“ vertrete. [Anmerkung: Da weitere Publikationen den Namen „Klartext“ tragen, besteht Verwechselungsgefahr. Wir beziehen uns hier ausschließlich auf die selbsternannte Bürgerzeitung.] Laut Eigenangaben erreicht die Rhein-Main-Ausgabe eine Auflage von 70.000 Exemplaren, in Oberbayern seien es 24.000. Außerdem existierten zumindest zeitweise weitere Formate für Niedersachsen und Hohenlohe. Optisch sieht die Klartext aus wie ein gewöhnliches Anzeigenblatt, inhaltlich liest sie sich wie eine Printversion der Beiträge des verschwörungsideologischen Telegram-Milieus: Im Klartext-Weltbild waren die Corona-Schutzmaßnahmen nutzlos, unterdrückerisch oder tödlich, Klimaschutzmaßnahmen ebenso, die Unterstützung der Ukraine gegen Russlands Angriffskrieg lasse das deutsche Volk „bluten“, Wahlen seien manipuliert und die Aussichten für Deutschland rundherum düster. Wiederholt werden Aufrufe platziert, dass Bürger:innen „endlich aufstehen“ müssten.  

Die Titelseite einer "Klartext"-Ausgabe
Die Titelseite einer "Klartext"-Ausgabe: Desinformation im Zeitungs-Look.

In einer Sonderausgabe zur Bundestagswahl wird die politische Präferenz der laut Eigenaussage parteiunabhängigen Bürgerzeitung deutlich: Während Union, SPD, FDP und Grüne negativ dargestellt werden, wird wohlwollend auf eine nicht konkret benannte „Alternative“ verwiesen, die zu Unrecht mit einer Brandmauer bedacht werde und „eine Chance verdient“ habe. Ein weiterer Artikel unterstellt drohenden Wahlbetrug und ruft zur organisierten Wahlbeobachtung auf. Gastbeiträge stammen mitunter von einschlägigen Namen aus dem verschwörungsideologischen und rechtsextremen Spektrum. Besonders brisant: Ein Gastbeitrag konstatiert im Frühjahr 2025 die vermeintliche „stille Resignation in der BRD“. Demnach hätten „Jahre der Enttäuschung“, eine belehrende Politik und Debatten, bei denen „das Ergebnis schon vorher feststeht“ zu einer stillen Kündigung der Bürger:innen geführt. Der Autor des Gastbeitrags, „André Schmitt (ehem. KSK Calw)“, ist besser bekannt als „André S.“ bzw. „Hannibal“. Als 2018 ein rechtsextremes Prepper-Netzwerk in der Bundeswehr aufgedeckt wurde, das sich mit Gewaltfantasien und konkreten Übungen auf den sogenannten „Tag X“ vorbereitete, spielten er und sein Verein Uniter eine zentrale Rolle. Nach Auflösung des Vereins 2020 ist Schmitt heute beim vermeintlichen Kaffeeversand Black Ops Coffee aktiv, auf dessen Blog der bei Klartext abgedruckte Artikel bereits im März erschienen war. Der Verfassungsschutz bewertet Black Ops Coffee als Fortführung von Uniter und stuft die Organisation als „gesichert rechtsextremistisch“ ein. Die Klartext stellt für das analog angesprochene Publikum auch Einstiegspunkte in das digitale verschwörungsideologische und rechtsextreme Milieu her, beispielsweise indem einschlägige „Alternativmedien“ empfohlen werden. Eine Anzeige in der Rhein-Main-Frühjahrsausgabe 2025 bewirbt ebenfalls das bereits erwähnte Alternativmedium AUF1. Wiederkehrende „Posts des Monats“ bewerben Inhalte aus sozialen Medien und machen die dahinterstehenden Kanäle bekannt. Über die via Shortlinks und QR-Codes verlinkte Online-Fassung der Print-Artikel gelangen Leser:innen zu „weiterführenden Informationen“. Darunter finden sich beispielsweise eine Petition für den Schutz des Bargelds, eine Initiative, die den vermeintlich desinformierenden öffentlich-rechtlichen Rundfunk reformieren möchte, oder dem bereits erwähnten, als rechtsextrem eingestuften Black Ops Coffee. Die Klartext verweist außerdem auf die eigenen Kanäle auf Telegram, X und Instagram, bittet um Unterstützung in Form einer „Schenkung ohne Gegenleistung“ und sucht nach weiteren Auslagestellen und Zeitungsausträger:innen.  

Collage aus Überschriften und Textausschnitten aus verschiedenen Ausgaben der selbsternannten "Bürgerzeitung" Klartext.
Collage aus Überschriften und Textausschnitten aus verschiedenen Ausgaben der selbsternannten "Bürgerzeitung" Klartext.

Radikalisierungsangebote können in unterschiedlichen Formen verbreitet werden 

Es wird deutlich: Radikale und irreführende Inhalte werden nicht nur online verbreitet, sondern ihrem Zielpublikum auch ganz klassisch auf Papier zugeführt, etwa in Form von Stickern, Foldern oder scheinbaren Zeitungen. Insgesamt fügt sich die analoge Verbreitung irreführender und radikalisierender Inhalte in eine Medienlandschaft ein, in der seriöser Lokaljournalismus zunehmend wegbricht. Unseriöse Angebote füllen nur zu gerne das entstehende Vakuum, um das Wissensbedürfnis der Bevölkerung zu bedienen.  

Die analoge Verbreitung macht das Aufdecken gezielter Einflussversuche herausfordernd. Digitale Kampagnen können frühzeitig von Forschenden selbst bemerkt und untersucht werden. Außerdem ist eine Vergewisserung über mutmaßliche Desinformationen im digitalen Raum oft unkompliziert möglich, etwa durch Markierungen von Expert:innen auf Social Media. Direkte Printkommunikation hingegen muss von Empfänger:innen erst aktiv weitergeleitet werden. Dies setzt voraus, dass Empfänger:innen problematische Inhalte bemerken und passende Anlaufstellen kennen, die sie darauf aufmerksam machen können. Dies können Mobile Beratungsstellen gegen Rechtsextremismus sein, aber auch Fachberatungsstellen für Themen wie Verschwörungsideologien oder Desinformation. Die analoge Ansprache erreicht dabei möglicherweise Menschen, die bisher wenig Berührungspunkte mit Verschwörungsideologie, Rechtsextremismus oder Desinformation hatten, und diese deshalb weniger gut erkennen. Auch dürften Anlaufstellen und Hilfsangebote wie Faktencheckseiten weniger bekannt sein und seltener Einordnungen zu lokal verteilten Falschbehauptungen anbieten. Digitale und analoge Kommunikationsräume existieren nicht getrennt voneinander. Neben der Verbreitung ihrer Inhalte nutzen Rechtsextreme und Verschwörungsideolog:innen analoge Kanäle auch zur gezielten Akquise von Konsument:innen für ihre digitalen Kanäle, die bisher weniger Berührungspunkte mit den dort vermittelten Ansichten hatten. Wenn es also um die Verbreitung von Desinformation, Verschwörungsideologie und rechtsextremen Inhalten geht, darf nicht nur der digitale Raum betrachtet werden. Radikale Inhalte können in vielfältige Kommunikationsformate verpackt werden, ob digital oder analog. Auf die Message kommt es an. 

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