Rechtsextreme Mobilisierung gegen CSDs: Eine Recherche von CeMAS und democ
Im Jahr 2025 finden nach aktuellem Stand 232 Christopher-Street-Day-Demonstrationen in Deutschland zwischen April und Oktober statt, um sich für Vielfalt und Diversität in Bezug auf sexuelle Orientierung und Gender einzusetzen – so viele wie noch nie zuvor in Deutschland. Während dort Menschen die Vielfalt feiern, geraten sie ins Visier rechtsextremer Gruppen, die sich seit dem letzten Sommer CSDs vermehrt als Feindbilder und Angriffsziele ausgesucht haben. Gerade rechtsextreme Jugendliche fühlten sich im vergangenen Jahr motiviert, gegen Menschen auf CSDs zu pöbeln oder diese auch körperlich anzugreifen.
Im Sommer 2024 gab es in 28 deutschen Städten rechtsextreme Anti-CSD-Demonstrationen. Die vorwiegend jugendlichen Neonazi-Teilnehmer:innen hatten sich selbstbewusst und offen über Social-Media-Plattformen wie Instagram, TikTok und WhatsApp organisiert, um die Demonstrationen zu stören. Bei manchen dieser Demonstrationen kamen nur sieben Teilnehmende zusammen, bei der größten Anti-CSD-Demonstration in Bautzen waren es 700. Dies hat CeMAS im November 2024 in einem Research Paper betrachtet.
Im Großen und Ganzen wirkte die von Neonazis bei diesen vergangenen Veranstaltungen verübte Gewalt eher unorganisiert und spontan als koordiniert. So haben Rechtsextreme im Jahr 2024 mehrere Teilnehmende auf Pride-Veranstaltungen oder bei der An- und Abreise angegriffen, wie das Autor*innenkollektiv Feministische Intervention (AK Fe.In) bei NSU-Watch dokumentiert hat. Sie sprechen von 68 Störungen und Angriffen im Umfeld der Demonstrationen. Nur der CSD in Berlin scheint das Ziel eines im Voraus geplanten, koordinierten Angriffs gewesen zu sein. Frühzeitige Polizeimaßnahmen gegen die angereisten Rechtsextremen konnten dies verhindern. Insgesamt steigt die Zahl queerfeindlicher Straftaten seit Jahren an – aktuell von etwa 1.785 Fällen im Jahr 2023 auf 2.917 Fälle im Jahr 2024. Besonders transfeindliche Straftaten haben in diesem Zeitraum im Vergleich zum Vorjahr stark zugenommen, um 24 Prozent (vgl. PMK-Zahlen des BKA, BKA-Lagebericht zur Sicherheit von LSBTIQ*, LSVD).
Hintergrund: Queerfeindlichkeit im Rechtsextremismus
In einer Ideologie, die keine Abweichungen von einer selbst festgelegten gesellschaftlichen Norm zulässt, werden Vielfalt und Diversität – auch in Bezug auf sexuelle Orientierung oder Gender – als Bedrohung für den eigenen Lebensentwurf verstanden. So sind queere Menschen viele Jahrhunderte lang aus verschiedener ideologischer Motivation Angriffen und Verfolgungen ausgesetzt gewesen. Im Nationalsozialismus wurden queere Menschen, insbesondere homosexuelle Männer, systematisch verfolgt, interniert und in Konzentrationslagern umgebracht.
Im Rechtsextremismus nach 1945 hatte Queerfeindlichkeit als Homofeindlichkeit und Transfeindlichkeit immer einen festen Platz. Rechtsextreme pathologisieren queere Menschen, stellen sie also als vermeintlich krank dar. Oft verkaufen Rechtsextreme den Hass auf queere Personen als vermeintlichen Schutz von Kindern, Familien oder des imaginierten “Volkes”. Zum Narrativ gehören eine angebliche “Frühsexualisierung” von Kindern durch bloßes Wissen über die Existenz queeren Lebens; die Bezeichnung queeren Lebens als “Perversion” oder “unnatürlich”; das Narrativ vom vermeintlichen Tod der Eltern-Kind-Familie; und der Mythos vom “Volkstod”, weil Menschen keine Kinder mehr bekämen, sobald sie wüssten, dass es auch etwas anderes als die heterosexuelle Familie gäbe. Ebenfalls zum rechtsextremen Narrativ-Feld gehört der Topos, dass es nur zwei Geschlechter gebe, sowie die Verschwörungserzählung, dass die LGBTIQ*-Szene, aber auch demokratische Regierungen, Konzerne, Medien und Schulen die Gesellschaft durch “Gender-Propaganda” umerziehen wollten.
Auch wenn nichts davon der Realität entspricht, in der queere Menschen einfach nur so wie alle leben wollen, ohne von Repressionen, Angriffen und Gewalt betroffen zu sein, sind sie deshalb ein Feindbild der rechtsextremen Szene, die ihre Angst vor Vielfalt mit Anfeindungen, Hetzkampagnen und bisweilen brutaler Gewalt zum Ausdruck bringt. Mobilisierungen im Namen einer völkischen Familienpolitik gibt es aus der Neonazi-Szene seit Jahrzehnten; auch in den Reihen der AfD oder in AfD-nahen Netzwerken wie Demo für alle sind LGBTIQ*-feindliche Argumentationen beliebt.
Rechtsextreme Mobilisierung: Der Stolzmonat
Der Christopher Street Day findet jedes Jahr in vielen Städten in aller Welt statt und erinnert an einen Polizeiangriff auf die New Yorker Bar “Stonewall Inn” in der Christopher Street am 28. Juni 1969. Der Angriff löste mehrtägige Proteste von Schwulen, Lesben und trans Menschen aus. Seitdem feiert die queere Szene weltweit im Juni den Pride Month für die Rechte, den Schutz und die Sichtbarkeit queeren Lebens.
Dies veranlasste die deutsche rechtsextreme Online-Szene 2023, dem Pride Month einen Stolzmonat entgegenzusetzen. Sie nutzten dafür auch einen in Deutschlandfarben zwischen Schwarz, Rot und Gold gehaltenen Farbverlauf, der die Regenbogen-Flaggen konterkarieren soll, mit denen Menschen ihre Solidarität mit queeren Menschen zum Ausdruck bringen. Entstanden ist die Kampagne in der rechtsextremen Online-Community rund um die vor allem auf Twitter und YouTube aktive Honigwabe. Schnell aber fand der Stolzmonat mit seiner Feier des Nationalismus und der Queerfeindlichkeit Widerhall auch in der neuen Rechten und innerhalb der AfD. Björn Höcke hat etwa die Stolzmonat-Symbolik nicht nur vielfach auf Social Media genutzt, sondern auch im Thüringer Wahlkampf auf Straßenplakate gedruckt. Im digitalen Raum ist die Kampagne seitdem jährlich im Juni sichtbar durch Profilbilder mit der Stolzmonat-Flagge, nationalistischen und queerfeindlichen Memes und Trollkampagnen gegen LGBTIQ*-solidarische Inhalte auf Social Media. Aber auch in der Offline-Welt wird der Stolzmonat inzwischen von Rechtsextremen gefeiert.
Am 31. Mai 2025 lud etwa die Identitäre Bewegung als „Auftakt zum Stolzmonat" zur “Stolzmonat Party” in ihr “Zentrum” in Chemnitz, während die AfD Rheinland-Pfalz zu einer “Party am Schloss Stolzenfels” in Koblenz einlud. Diese Aktionen stammen aus einem anderen Spektrum der rechtsextremen Szene als die zuvor beschriebenen jungen Neonazis, die CSD-Demonstrationen bedrohen. Dennoch ist davon auszugehen, dass queerfeindliche Agitationsversuche aus verschiedenen Teilen der extremen Rechten, wie etwa die Stolzmonat-Kampagne, den jungen neonazistischen Gruppierungen Aufwind und Selbstvertrauen verleihen.
Wie entwickeln sich die „Neue Generation Neonazis“ und die Anti-CSD-Demonstrationen?
In Deutschland haben in diesem Jahr bis zur Veröffentlichung dieses Blogbeitrags 132 CSD-Demonstrationen stattgefunden. Da bis in den Oktober weitere CSDs in Deutschland stattfinden, ist die Erfassung mit diesem Blogbeitrag nicht abgeschlossen. Oft dauert es, bis Angriffe bekannt und dokumentiert werden. Nach Abschluss der CSD-Saison 2025 werden CeMAS und democ deshalb eine Gesamt-Analyse veröffentlichen.

Anti-CSD-Demonstrationen Bei 17 CSDs wurden bisher rechtsextreme Gegendemonstrationen dokumentiert. In Dresden (Sachsen) bestand die Anti-CSD-Demo aus 120 Teilnehmenden, die den Aufrufen aus der rechtsextremen Elblandrevolte gefolgt waren. In Bad Mergentheim (Baden-Württemberg) gab es 20 rechtsextreme Gegendemonstrierende. In Wetzlar (Hessen) hatte Die Heimat aufgerufen, 35 Rechtsextreme kamen. In Wittenberg (Sachsen-Anhalt) mobilisierten die Jungen Nationalisten rund 70 Neonazis. In Berlin-Marzahn nahmen 50 Personen an der rechtsextremen Anti-CSD-Demonstration teil. Dabei haben zwei Jugendliche versucht, Teilnehmende der “Marzahn Pride” anzugreifen, was aber von der Polizei verhindert werden konnte. Mobilisiert hatte die Gruppierung Deutsche Jugend Voran. In Berlin-Hellersdorf demonstrierten nur eine Woche später 30 Neonazis der Gruppe Jung und Stark gegen die zeitgleich in Friedrichshain stattfindende “East Pride”. Ihr Motto: “Gemeinsam für ein Demokratisches Deutschland - gegen den CSD-Terror die Identitätsstörung und kriminelle Ausländer [sic]”. In Pforzheim (Baden-Württemberg) bestand die Neonazi-Demonstration aus 90 Teilnehmer:innen, darunter Alt-Neonazis wie Christian Klar und Mitglieder der Gruppe Deutsche Jugend Pforzheim. In Fulda gab es rund 50 rechtsextreme Gegendemonstrierende. In Falkensee (Brandenburg) bei Berlin demonstrierten etwa 60 junge Neonazis aus den Gruppen Chemnitz Revolte, Jung und Stark und Deutsche Jugend Voran. In Neumünster (Schleswig-Holstein) waren es 30 Rechtsextreme der Jungen Nationalisten. Gegen den CSD in Bernau (Brandenburg) bei Berlin konnte die Deutsche Jugend Voran um Julian M. 43 Personen mobilisieren (siehe Abschnitt “Rechtsextreme Mobilisierung auf der Straße”). Im Pirna (Sachsen) nahmen am 12. Juli rund 50 Menschen an der Anti-CSD-Demonstration der Freien Sachsen teil. In Gera (Thüringen) nahmen am gleichen Wochenende rund 80 Personen an einer Anti-CSD-Demonstration teil. In Nordhausen (Thüringen) hatte der CSD nur wenige rechtsextreme Gegendemonstrierende, die aber lautstark den Zug beschimpften. In Trier (Rheinland-Pfalz) waren es am 19. Juli nur fünf rechtsextreme Gegendemonstrierende. In Sonneberg (Thüringen) waren es auch kaum mehr: 15 Rechtsextreme erschienen. In Mönchengladbach (Nordrhein-Westfalen) waren es 58 Rechtsextreme, die eine Sitzblockade gemacht hatten, damit Teilnehmenden nicht zum CSD kommen könnten. Sie wurden von der Polizei festgesetzt.
In Fulda (Hessen) kam es zusätzlich zur Anti-CSD-Demonstration der Jungen Nationalisten zu einem Angriff. Aus der Demonstration versuchte eine Rechtsextreme, CSD-Teilnehmende mit einer Eisenstange anzugreifen. Das verhinderte die Polizei – drei Polizisten wurden dabei verletzt.
In Emden (Niedersachsen) gab es einen Angriff auf einen 31-jährigen Mann am Rande des CSDs. Er wurde von einem “jugendlichen Täter” ins Gesicht geschlagen (Motiv noch unklar).
Mehrere CSDs konnten nicht stattfinden oder nur als lokale Kundgebung stattfinden, weil die Polizei nach Drohungen im Vorfeld Angst vor Übergriffen hatte. Dies war etwa in Regensburg (Bayern), in Gelsenkirchen (Nordrhein-Westfalen) und in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) der Fall. Die Motivlage der Drohungen ist noch unklar. In Wernigerode im Harz (Sachsen-Anhalt) drohte ein Zwanzigjähriger, der laut einem Medienbericht dem Rechtsextremismus nahesteht, mit einem Schusswaffen-Angriff auf den CSD. Die Polizei fand nach der Anzeige der Drohung bei ihm nur Schreckschusswaffen und glaubte dem Mann, er habe die Drohung nicht ernst gemeint. Der CSD fand statt.
Angriffe im Umfeld von CSDs Neben Gegendemonstrationen zu den CSDs gab es während der CSD-Saison auch weitere Angriffe gegen Veranstaltungen im Zuge des Pride Months und gegen Einrichtungen der queeren Kulturszene.
Bei einer Vielfalt-Veranstaltung in Bad Freienwalde (Brandenburg) kam es vor Beginn der Veranstaltung zu einem gewalttätigen Übergriff, der nur durch das couragierte Durchgreifen von Sicherheitsleuten der Veranstaltung beendet werden konnte. Die Täter trugen rechtsextreme Symbolik, einer soll laut rbb Anhänger des III. Weges sein.
Auch in Berlin kam es vermehrt zu Angriffen auf queere Orte. Die Bar “Tipsy Bear” im Prenzlauer Berg wurde in den letzten Wochen mehrfach Ziel von Angriffen. Erst Anfang Mai rissen Unbekannte eine vor der Bar hängende Regenbogenflagge ab und setzten sie in Brand. Ende Juni wurde die queere Bar erneut Ziel eines Angriffs. Eine Gruppe Männer riss die Regenbogenfahnen vor der Bar herunter, holte schließlich einen Baseballschläger aus dem Auto, bedrohte und beleidigte Gäste damit. Die anwesenden Gäste mussten sich zu ihrem Schutz in der Bar einschließen. Die Täter kehrten im Verlauf des Abends mehrfach zurück.
Am selben Wochenende wurde ebenfalls das queere Café “Romeo und Romeo” in Schöneberg angegriffen. Ein Mann beschimpfte Gäste und Betreiber des Cafés queerfeindlich. Danach schlug er dem Betreiber eine Glasflasche auf den Kopf.
In Rostock (Mecklenburg-Vorpommern) hatten zwei Personen eine Gedenkveranstaltung an die queeren Opfer des Naziregimes durch Zwischenrufe gestört worden sein. Ein alkoholisierter 62-jähriger Mann und eine alkoholisierte 34-jährige Frau sollen mit Zwischenrufen gestört haben, “welche bedrohenden und beleidigenden Charakter hatten”, so die Polizei.
Auch wenn diese queerfeindlichen Angriffe nicht abschließend organisierten rechtsextremen Gruppen zugeordnet werden können, sind sie ebenfalls Teil der Bedrohungslage für queeres Leben.
Rechtsextreme Jugendgruppen

Die im letzten Jahr aktiven Gruppen junger Neonazis sind dabei weiterhin auf Social Media und auf der Straße aktiv – etwa die Gruppen Deutsche Jugend Voran (DJV), Der Störtrupp (DST) oder Jung & Stark (JS).
Auffällig ist im qualitativen Monitoring, dass 2025 wieder angestammte rechtsextreme Akteure wie die Jungen Nationalisten (Jugendorganisation von Die Heimat/Ex-NPD) und der III. Weg vermehrt queerfeindlich mobilisieren und Demonstrationen anmelden. Offenbar wollen sich diese organisierten Rechtsextremen nun die Hoheit über “ihre” queerfeindlichen Themen zurückerobern.
Im letzten Jahr war die etablierte rechtsextreme Szene von den jungen Neonazi-Gruppen überrascht worden, die selbstbewusst bis zur Naivität, aktionsorientiert und gewaltbereit, aber ohne geschlossenes rechtsextremes Weltbild gegen die CSDs aktiv waren. Damals gab es bereits Aufrufe unter den erfahrenen Rechtsextremen, den Jugendlichen organisatorisch und inhaltlich unter die Arme zu greifen. Dieser Schulterschluss ist jetzt offenkundig vollzogen worden. CeMAS-Researcher:innen Joe Düker und Jessa Mellea sehen dies nicht nur in den erwähnten Demonstrationsanmeldungen, sondern auch in einer Ausweitung der Demonstrationsthemen der jungen Neonazi-Gruppen. Denn auch Deutsche Jugend Voran oder Jung und Stark demonstrieren inzwischen nicht mehr nur gegen CSDs, sondern beteiligen sich auch an anderen Neonazi-Demonstrationen, wie etwa an der 1. Mai-Feier in Gera oder zuletzt an der Demonstration für ein Grab für “SS-Siggi” Siegfried Borchert in Münster. Zudem haben die Gruppen der jungen Neonazis inzwischen selbst ein anderes Organisationsniveau erreicht: So treten Mitglieder von Deutsche Jugend Voran inzwischen gern einheitlich uniformiert in DJV-T-Shirts auf.
Queerfeindlichkeit und Antisemitismus
Die Queerfeindlichkeit und der Antifeminismus der rechtsextremen Gruppen, die gegen die CSDs mobilisieren, verbinden sich auch immer wieder mit antisemitischen Narrativen. Dies wird besonders bei den Aufrufen der Jungen Nationalisten gegen die CSDs sichtbar, die unter dem Motto “Familie, Heimat und Nation, statt CSD und Perversion!” stehen:

Während “Familie, Heimat und Nation” in den Farben der deutschen Nationalflagge gehalten ist, wird “CSD-Perversion” nicht nur in Regenbogenfarben dargestellt, sondern in einer Schriftart, die an die hebräische Schrift erinnert. Das “C” ähnelt dem hebräischen Buchstaben “Kaf” und auch die Punktierung zur Vokalisierung der Buchstaben (Niqqud) ist im Schriftbild des JN-Aufrufs zu erkennen.
Die Wahl dieser Schrift ist kein Zufall, sondern Ausdruck der verschwörungsideologischen Vorstellung, queeres Leben sei das Ergebnis eines angeblich gesteuerten Kulturkampfes und “großen Austauschs”, für den oft Jüdinnen und Juden verantwortlich gemacht und als vermeintliche “Strippenzieher” imaginiert werden. Ihnen wird unterstellt, hinter einer sogenannten “Queer-Lobby” zu stehen und sowohl durch “LGBTQ-Propaganda” traditionelle Werte, Geschlechterordnungen und nationale Identitäten zu untergraben, als auch durch Einwanderungspolitik die “weiße Bevölkerung” und traditionelle Familien gezielt durch muslimische und nicht-weiße Menschen zu ersetzen. Es handelt sich um eine antisemitische und zugleich rassistische Erzählung, die klassische Stereotype jüdischer Allmacht und Manipulation aufgreift.
Wenn es um queere Menschen oder alternative Familienmodelle geht, tauchen auch immer wieder Begriffe wie “Degeneration” oder “Entartung” auf. Diese stammen aus dem Vokabular der Nationalsozialist:innen und standen damals für den angeblichen biologischen und moralischen Niedergang des “deutschen Volkes”. Heute greifen rechtsextreme Gruppen wie die Jungen Nationalisten oder der III. Weg bewusst auf diese Begriffe zurück und knüpfen mit dieser Vorstellung eines gesellschaftlichen Zerfalls durch “moderne Lebensweisen” an die antisemitische Ideologie des Nationalsozialismus an.
Ein anderes Beispiel für Antisemitismus im Kontext der queerfeindlichen Demonstrationen gegen die CSDs ist ein altes Motiv der Jungen Nationalisten, das erneut in Form von Stickern oder Aufdrucken auf Kleidung Verbreitung findet.
Das Motiv zeigt die Aufschrift “Aus Anne wird Frank, das ist doch krank”. Darunter ist eine traditionelle Familie zu sehen, die sich mit einem Regenschirm vor den Regenbogenfarben schützt.

In einem Beitrag auf Telegram ist erneut die Familie mit Regenschirm zu sehen, diesmal begleitet von vier Forderungen gegen queeres Leben. Darüber steht der Satz: “(((Sie))) wollen dich schwul, schwach und krank halten, weil der starke, freidenkende Deutsche ihre größte Gefahr darstellt.”

Die drei Klammern um das Wort “Sie” sind ein antisemitischer Code, der seit etwa 2014 im Umfeld des Alt-Right-Blogs “The Right Stuff” verwendet wird. Diese sogenannten “Echoes” dienen dazu, jüdische Personen als jüdisch zu markieren oder auch nicht-jüdischen Personen eine angeblich jüdische Identität oder eine “nicht-weiße” Agenda zu unterstellen. Der dahinterstehende Gedanke ist, dass jüdische Namen durch angeblich wiederkehrende schädliche Handlungen wie ein Echo durch die Geschichte hallen. In diesem Fall wird durch die Klammern suggeriert, dass “Sie” jüdische Menschen seien, die die deutsche Gesellschaft schwächen und zerstören wollen.
Rechtsextreme Mobilisierung Online
Als neue Mobilisierungsgruppe gegen CSD auf Social Media fallen den Researcher:innen mittlerweile in mehreren Bundesländern existierende Mädelbund-Gruppen auf, die rechtsextreme jungen Frauen ansprechen wollen. Diese Gruppen, die schon namentlich sowohl auf die NS-Zeit als auch auf die rechtsextremen “Mädelbünde” der 1990er Jahre zurückgreifen, mobilisieren gegen queere Menschen vor allem über traditionelle Geschlechterrollen und Familienbilder. Sie gehören zum Netzwerk der Jungen Nationalisten, der Jugendorganisationen von Die Heimat und bieten jungen Neonazistinnen mit den Demonstrationsteilnahmen eine aktivere Form des Auslebens einer rechtsextremen Ideologie neben den eher hausgebundenen “Tradwives” an. Wie groß diese Gruppen tatsächlich sind und inwieweit sie über Social Media hinaus existieren, bleibt noch zu beobachten.
Die jungen Neonazi-Gruppen organisieren sich weiterhin über Instagram und TikTok. Die genaue Kampagnen-Planung findet häufig in nicht-öffentlichen Messengerdiensten wie WhatsApp statt. Eine neue digitale Erscheinungsform sind Kanäle auf Instagram und TikTok, die oft regional verortet sind (in Städten oder Bundesländern) und deren Namen durch einen Dreiklang bestimmt werden, die aus Schlagwörtern wie “patriotisch, national, gegen links, Jugend” gebildet werden. Diese Kanäle sind dabei offenkundig mit wenigen KI-Inhalten oder inauthentischen, kopierten Bildern bestückt. So sehr davon auszugehen ist, dass diese Accounts keine neuen Neonazi-Gruppierungen, sondern eher Ein-Personen-Online-Projekte sind, können sie doch lokal für Beunruhigung unter den vom Hass betroffenen Gruppen sorgen und erfüllen so mit wenig Aufwand einen Einschüchterungszweck.
Neben der Online-Radikalisierung gibt es auch Hinweise darauf, dass die politische Orientierung der jungen Neonazis durch familiäre Strukturen geprägt ist: So wird etwa in Social-Media-Beiträgen der rechtsextreme Aktivismus als Familientradition dargestellt; einzelne Führungsfiguren der Szene waren offenbar schon als Kinder mit ihren Eltern auf rechtsextremen Demonstrationen.
Rechtsextreme Mobilisierung auf der Straße
Während die Gruppierungen online den Eindruck weitreichender Vernetzung und großen Einflusses vermitteln wollen, zeigt das Offline-Monitoring von democ, dass das reale Mobilisierungspotential der Rechtsextremen gegen CSDs zumindest in Berlin und Brandenburg deutlich geringer wird. Kundgebungen gegen die East Pride in Berlin-Friedrichshain, den CSD in Berlin-Marzahn oder gegen die CSDs im brandenburgischen Falkensee und Bernau wurden jeweils von nur 30-60 Rechtsextremen bespielt.
Zeitgleich sorgten die Aufrufe der Neonazi-Gruppen für eine deutlich höhere Teilnehmendenzahl auf den CSDs selbst, bei denen, in Reaktion auf die Gegenkundgebungen, eine verstärkte Anreise zu verzeichnen ist. So schlossen sich im brandenburgischen Falkensee fast 1000 Menschen dem CSD an – viele kamen auch aus Berlin, um die Menschen vor Ort zu unterstützen. In Bernau nahmen mehr als 600 Personen am CSD teil.
In Berlin und Brandenburg schwächen auch interne Spaltungen die jungen Neonazi-Gruppen. Diese sind teilweise miteinander zerstritten. Dabei geht es häufig um persönliche Konflikte und gescheiterte Liebesbeziehungen. Die jungen – oftmals minderjährigen – Rechtsextremen, die gegen CSDs und “die Identitätsstörung” aufrufen, scheinen in ihrer eigenen Identitätsfindung immer wieder schulhofähnliche Streitereien öffentlich bei Kundgebungen und Demonstrationen auszutragen. So kam es in Falkensee beispielsweise zu Szenen, bei denen sich die Demonstration bereits zu Beginn in zwei Lager teilte und der vordere Teil, hauptsächlich bestehend aus Jung und Stark und der Chemnitz Revolte, gegen den hinteren Teil (Deutsche Jugend Voran) mit den Sprechchören pöbelte: “Keiner hat Bock auf die DJV”.
Die Perspektive der Deutschen Jugend Voran ist aktuell auch offen. Julian M., der Rädelsführer der DJV, wurde am 9. April 2025 zu drei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Wegen fehlender Fluchtgefahr erhielt M. aber bis zur Rechtskräftigkeit des Urteils eine Haftverschonung. Kaum aus der mehrmonatigen U-Haft entlassen, trat er mehrfach auf Demonstrationen auf, so beispielsweise auch in Bernau bei der Demonstration der DJV gegen den dortigen CSD. Doch ob die DJV nach Haftantritt ihres Anführers M. weiter aktiv bleibt, ist fraglich.
Aber auch wenn einige junge rechtsextreme Gruppierungen in Berlin und Brandenburg aktuell zerstritten und weniger wirkmächtig sind, verzeichnen organisierte Strukturen wie der III. Weg und die Jungen Nationalisten Zulauf. In anderen Bundesländern gewinnen rechtsextreme (Jugend)Gruppen weiter an Popularität. So bleibt die Bedrohungslage – allgemein, aber in diesem Kontext vor allem für queeres Leben - weiterhin alarmierend. Der Verband “Queere Vielfalt” verzeichnet aktuell zunehmende Gewalt gegen queere Menschen.
Dabei fällt insbesondere die junge Neonazi-Generation durch eine hohe Gewaltbereitschaft auf. So kommt es immer wieder zu Übergriffen, wie die Zwischenfälle beim CSD in Marzahn, der Angriff der mutmaßlichen III. Weg-Anhänger auf das Straßenfest in Bad Freienwalde und die vermehrten Angriffe auf queere Menschen und Orte zeigen.
In Berlin und Brandenburg könnten die internen Streitigkeiten und der Bedeutungsverlust der jungen rechtsextremen Gruppierungen auch das Risiko bergen, dass sich Einzelne weiter radikalisieren. Aus dem Bedürfnis nach Anerkennung und Aufmerksamkeit könnten sie sich drastischeren Aktionen und Gewalttaten zuwenden, um aufzufallen, Sichtbarkeit zu erlangen und innerhalb der rechtsextremen Szene Aufwertung zu erfahren.
Fazit
Das bisherige Monitoring von CeMAS und democ zeigt, dass die Anti-CSD-Demonstrationen aus dem rechtsextremen Spektrum bisher nicht solch ein Momentum des Vorjahres entwickelt haben, als sie auch unzufriedene Jugendliche auf der Suche nach Gewalt und Gemeinschaft anzogen. Dennoch stellen die sporadisch auftretende Gewalt und die versuchten Einschüchterungen weiterhin ein ernstes Problem für CSDs dar. Die diesjährigen Demonstrationen sind dafür organisierter und belegen eine zunehmende Verflechtung der traditionellen rechtsextremen Szene und der jungen Generation Neonazis in Deutschland.
Nicht außer Acht gelassen werden darf außerdem, dass bis Oktober 2025 noch mindestens 110 CSDs stattfinden werden – inklusive des CSDs im sächsischen Bautzen, wo Neonazis im letzten Jahr das größte Bedrohungsszenario aufbauen konnten. Es ist also weiterhin unerlässlich, die queeren Demonstrationen und ihre Teilnehmer:innen großräumig zu schützen – und dies sowohl während der Aufbauarbeiten als auch auf dem Heimweg der Teilnehmer:innen. CeMAS und democ werden das Monitoring fortsetzen und nach Ende der CSD-Saison 2025 eine Gesamtauswertung veröffentlichen.
democ
Dieser Blogbeitrag ist in einer Kooperation von CeMAS und democ entstanden. Der Verein democ ist ein Zusammenschluss von Journalistinnen, Wissenschaftlerinnen und Medienschaffenden, die gemeinsam demokratiefeindliche Bewegungen beobachten, dokumentieren und analysieren. Die 2019 gegründete Organisation untersucht, wie diese Kräfte funktionieren, warum sie erstarken und wie ihnen begegnet werden kann. Ihre Beobachtungen und Überlegungen werden der Öffentlichkeit durch Artikel, Videos, Workshops, Briefings und Vorträge zugänglich gemacht.
Mitarbeit: Joe Düker, Jessa Mellea, Simone Rafael, democ
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