Rechtslibertarismus: Warum nennt Alice Weidel die AfD „libertär und konservativ“?

Autor:innen: Andreas Kemper

Im Gespräch mit Elon Musk auf X nannte Alice Weidel die AfD „libertär und konservativ“. Das dürfte selbst einige ihrer Parteigenoss:innen verwundert haben, aber der Rechtslibertarismus gehörte für Weidel von Anfang an zur AfD. Was verbirgt sich hinter diesem ideologischen Konstrukt, das auch für Elon Musk von großer Wichtigkeit ist?

In jüngster Zeit, vor allem im Gespräch mit Elon Musk, definierte die AfD-Vorsitzende Alice Weidel die AfD als „libertär und konservativ“. Das ist neu. Bislang nannten sich die Selbstverharmloser:innen der AfD „liberal und konservativ“. Schon darüber hatte sich Maximilian Krah, letzter AfD-Spitzenkandidat für die Europawahlen, öffentlich lustig gemacht: „Die AfD ist rechts.“ Aber wie kommt Alice Weidel zu dieser Selbstbeschreibung als „libertär“? Tatsächlich ist die AfD kein homogener Block und bei den Kontroversen müssen wir unterscheiden, ob wir es mit Taktik und Strategie zu tun haben (Regierungsmitarbeit oder Systemopposition) oder mit ideologischen Strömungen innerhalb der Partei. Die AfD besteht seit dem Gründungsparteitag im April 2013 aus drei Strömungen, deren Ideologien Gemeinsamkeiten aufweisen, aber auch klare Differenzen: Rechtslibertarismus, Rechtskatholizismus/Rechtsevangelikalismus und völkische Rechte.

Libertarismus oder Proprietarismus?

Neu ist die Kennzeichnung der AfD als „libertär-konservativ“ also nicht. In meinem im Juli 2013 erschienenem AfD-Buch heißt es bereits im letzten Kapitel „Fazit: Nationalliberalismus 2.0“, die AfD wolle „konservativ-libertäre Positionen stärken“ (Rechte Euro-Rebellion. Alternative für Deutschland und Zivile Koalition e.V., Münster 2013, S. 89). „Libertär“ ist ein Begriff, den sich die Rechten angeeignet haben. Im 19. Jahrhundert stand er für eine feministisch-sozialistische Ausprägung des Anarchismus.

Rechte hingegen bezeichnen sich heute als „libertär“, wenn sie einen extremen Kapitalismus anstreben, der den Staat abschaffen will, vor allem den Sozialstaat mit Gewerkschaften, Arbeiter:innenrechten und Wahlrecht auch für Ärmere und Frauen. An seiner Stelle solle eine „reine Privatrechtsgesellschaft“ entstehen, in der alles, Gesundheit, Bildung, Polizei und Justiz, wirklich alles, privatisiert werden soll. Diese Idee einer Gesellschaft erinnert an die Entstehung des Kapitalismus, an die Fabrikstadt Manchester Anfang des 19. Jahrhunderts. Die damals vorherrschende Ideologie nennt der Vermögenshistoriker Thomas Piketty „sakralen Proprietarismus“ (von lat. proprium = Eigentum (im Englischen „property“). „Sakral“ wird er genannt, weil die Eigentumsrechte der Reichen quasi heiliggesprochen wurden, und wer sich dagegenstellte, wurde bezichtigt, auf Satans Seite zu sein.

Proprietaristische Ideologie

Auch heute wird so wieder argumentiert. Das tut etwa der über Social Media bekannte Crash-Prophet Markus Krall, der auch ehemaliger Geschäftsführer bei „Degussa Goldhandel” war, einem Unternehmen des inzwischen verstorbenen Bankkaufmanns und Aktionärs August von Finck. Wie ich in meinem Buch „Rechte Euro-Rebellion. Alternative für Deutschland und Zivile Koalition e.V.“ 2013 herausgearbeitet hatte, kam ein großer Teil des Gründungsmilieus der AfD aus den Kreisen, deren Denken sich vor allem um Gold drehte.

Mit dem Goldstandard, der die Menge des im Umlauf befindlichen Geldes durch eine nationale Goldreserve deckeln will, sollte der finanzielle Handlungsspielraum des Staates eingeschränkt werden. Die proprietarisische Ideologie, die jede Form von Staatlichkeit ablehnt, ging damals mit Forderungen nach dem Goldstandard einher. Die erst 2008 erfundene Kryptowährung Bitcoin, mit der heute staatliches oder suprastaatliches Geld („Euro“) ersetzt werden soll, war damals noch nicht etabliert genug. Als die AfD im Sommer 2014 begann, Goldmünzen zu verkaufen, um durch den Umsatz zusätzliche Parteienfinanzierung vom Staat zu erhalten, kam dieses Gold zum Großteil von Degussa Goldhandel.

Sozialismus als Feindbild

Ex-Degussa-Goldhandel-Geschäftsführer Krall etwa spricht vom heute existierenden Sozialstaat als vom „Tier Sozialismus“ und meint das gehörnte Tier aus der Johannes-Apokalypse als eine Inkarnation Satans. Zum Sozialismus zähle für ihn Angela Merkel ebenso wie die Maßnahmen gegen Corona („Seuchensozialismus“) und gegen die Klimakatastrophe („Klimasozialismus“).

Krall will den Staat durch Privatunternehmen ersetzen. Eine Idee, die heutzutage auch an anderer Stelle durchschlägt: Auf seinem X-Account zeigt Krall sich mit einer Kettensäge. Die Kettensäge ist das Symbol von Javier Milei, dem Regierungschef von Argentinien, der als „Libertärer“ gerade sein Versprechen umsetzt, alle Ministerien zu „zersägen“. Auch in den USA ist diese Idee zuletzt beliebt: Während der rechtskonservativen CPAC-Konferenz am 20.02.2025 in Washington bekam Elon Musk, Donald Trumps „Sonderberater für Regierungsausgaben“, von Milei eine Kettensäge geschenkt und fuchtelte vor dem Publikum damit herum. Auch bei Beatrix von Storch steht eine Milei-Figur mit Kettensäge auf ihrem Tisch, nachdem sie sich während der Amtseinführung von Trump mit Musk getroffen hatte. Bei solchen ideologischen Überschneidungen wundert es nicht, dass Krall mehrfach von der AfD mehrfach als Vortragsredner engagiert wurde.

Wir müssen verstehen, dass diese mit der Weltwirtschaftskrise von 2008 immer populärer gewordene Ideologie des als „Libertarismus“ bezeichneten Proprietarismus den Neoliberalismus hinter sich lässt, ja sogar bekämpft. Milei kritisierte explizit den Neoliberalismus als eine sozialistische Ideologie. Der sakrale Proprietarismus hat nichts mit den Dingen zu tun, die wir mit Liberalismus verbinden, wie etwa Säkularismus oder Aufklärung. Im Gegenteil: Der Proprietarismus verklärt die Eigentumsordnung als gott- und naturrechtlich gewollt. Er ist nicht individualistisch, sondern reaktionär familistisch: Die soziale Herkunft ist wichtiger als die individuelle Leistung. Die natürlichen Verbündeten des Proprietarismus sind der Adel und die reaktionären Strömungen vor allem der katholischen Kirche.

Mit dem eigentlichen Libertarismus, der antikapitalistisch und feministisch orientiert ist, hat der Proprietarismus also nichts zu tun. Er sakralisiert vor allem das Privateigentum. Philosoph Erich Fromm wies darauf hin, dass das Wort „privare“ mit Raub übersetzt werden kann. Dazu passt, dass der Proprietarismus auch den Begriff „Libertarismus“ stahl und ins Gegenteil verkehrte. Mit „Freiheit“ (im Sinne von „mehr Freizeit“, weniger Arbeit, Wegfall von Zugangsbeschränkungen, etwa zum Gymnasium, zu Studienplätzen, bei der Bahn, freie Plätze bei Ärzt*innen und ähnlichem) hat der Proprietarismus nichts zu tun, der Begriff „Libertarismus“ (von Libertas = Freiheit) ist daher komplett falsch. Proprietarismus bedeutet, dass noch mehr bislang für die Öffentlichkeit und vor allem für Ärmere freie Zugänge privatisiert und der Öffentlichkeit geraubt und damit geschlossen werden.

Wie der Proprietarismus zur AfD kam

Der Proprietarismus gehört mit seinen Ideen der Abschaffung des Staates und des allgemeinen Wahlrechts bereits seit Gründungszeiten zur AfD. Wie beliebt die Ideen in der deutschen Rechten seit Jahren sind, zeigte sich etwa bei einem Blick auf das Axel-Springer-Blatt „Die Welt“. 2006 druckte diese Tageszeitung einen explizit demokratiefeindlichen Artikel von André Lichtschlag, der nicht nur ein Journalist, sondern vor allem der Herausgeber des proprietaristischen Zentralorgans eigentümlich frei ist. Lichtschlags Text trug den Titel „Entzieht den Nettostaatsprofiteuren das Wahlrecht!“. Lichtschlag befand, die „Proletarisierung“ und die „Asozialen“ (ohne Anführungszeichen) seien das Ergebnis eines „allumfassenden Sozialstaats“, und dagegen forderte er: „Weniger Demokratie wagen“. Hierbei berief er sich auf die Aussage des proprietaristischen Vordenkers Hans-Hermann Hoppe. Der hatte unter Rückgriff auf einen weiteren Vordenker, Friedrich August Hayek, argumentiert, den Menschen, die Geld vom Staat erhalten, solle man das Wahlrecht entziehen.

Ein Kolumnist von „Die Welt“, der diese Ideen zustimmte, war Konrad Adam – der Mann, der sieben Jahre später die AfD mitgründen sollte. Er schrieb damals eine Kolumne mit dem Titel „Die Macht der Schwachen“ und pflichtete wenige Wochen später Lichtschlag bei, indem er das allgemeine Wahlrecht infrage stellte („Wer soll wählen?“): Denn mit diesem Wahlrecht sei die deutsche Politik unfähig, „sich aus der Fixierung auf unproduktive Haushaltstitel wie Rente, Pflege, Schuldendienst und Arbeitslosigkeit zu befreien. […] Das Übergewicht der Passiven lähmt auf die Dauer auch die Aktiven“.

Von der Zeitung „Die Welt“ zur AfD

Konrad Adam gründete 2012 zusammen mit Alexander Gauland und Bernd Lucke die Wahlalternative 2013, aus der im Februar 2013 dann die AfD wurde. Zu Beginn bestand diese Initiative nur aus einer Facebook-Seite. Doch die Zeitung „Die Welt“ unterstützte die Initiative durch unverhältnismäßige Berichterstattung. So berichtete Günther Lachmann ganzseitig von dem Vorhaben. Der Journalist hatte sich zuvor schon als Fan proprietaristischer Ideen gezeigt. So hatte er etwa 2011 in der Zeitung „Die Welt“ eine Massenmail-Aktion von Beatrix von Storchs „Abgeordneten-Check“ unterstützt, die gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) als „Ausdruck des Volkswillens“ gerichtet war, oder lobte einen Kongress in Berlin, auf dem das Geldsystem infrage gestellt wurde – ein Kongress, der von der Wordstatt AG organisiert wurde, die für proprietaristische Vernetzung wichtig wurde. Am Kongress nahm unter anderem Thorsten Polleit teil, Chefökonom des „Degussa Goldhandel“. Ab 2015 beriet Lachmann die AfD zu Kommunikationsfragen, vor allem die AfD Thüringen und Björn Höcke.

August Baron von Fincks Proprietarismus-Zelle

Aber was hat die proprietaristische Ideologie mit der AfD zu tun? Wir müssen dazu noch einmal zu August von Finck und dessen „Degussa Goldhandel“ zurückgehen. August von Finck war Bankkaufmann, Unternehmer und Aktionär, unter anderem bei der Münchner Löwenbräu und bei der Restaurant- und Hotelgruppe Mövenpick. Ab 2010 investierte er in den „Degussa Goldhandel“ mit der Idee, dass Anleger sich in unsicheren Zeiten auf Edelmetalle verlassen würden. Politisch war er proprietaristisch geprägt.

August von Finck hatte 2003 bereits die Kampagne „Du bist besser als jetzt“ des marktliberalen Bürgerkonvents mit mehreren Millionen Euro finanziell unterstützt. Neben Beatrix von Storch saßen auch andere Funktionäre ihrer verschiedenen Organisationen im Vorstand des Bürgerkonvents.

Der Milliardär August von Finck war bekannt für seine politisch motivierten Spenden. Ab 2010 baute er über Stefan Ring, der mehreren Finck-Unternehmen als Geschäftsführer vorstand, seine eigene politische Organisation in seinem Unternehmen auf. Neben „Degussa Goldhandel“, dass damals ein hochpolitisiertes Unternehmen war, richtete Ring die Medien-Unternehmen CSC.AG, Amplifire GmbH, Venturara Concept GmbH, H. Akston Verlags GmbH und das Ludwig-von-Mises Institut Deutschland unter dem Dach der August von Finck Zentrale am Promenadenplatz in München ein.

Finck ließ das proprietaristische Zentralblatt „eigentümlich frei“ regelmäßig mit zwei ganzseitigen Werbungsseiten seiner Unternehmen indirekt finanzieren. Außerdem schuf er sich sein eigenes Polit-Imperium, in dem der „eigentümlich frei“-Kolumnist Thorsten Polleit zum Chefökonom des neu geschaffenen Unternehmens „Degussa Goldhandel“ gemacht wurde.

Für Ideologie zentral: Das „Ludwig-Mises-Institut“

Die Ideologie von Finck und Polleit zeigt sich klar im „Ludwig-Mises-Institut“, das ebenfalls zum Finck-Unternehmensgeflecht gehörte und dem gleichnamigen proprietaristischen amerikanischen Institut nachempfunden war. Leiter des Mises-Instituts wurde Thorsten Polleit, der auch ein Schüler von Hans-Hermann Hoppe ist, dem Guru der Proprietarismus-Ideologie aus Alabama. Hoppe und Polleit machten 2016 auf einer Mises-Tagung unmissverständlich klar, dass für sie der neoliberale Staat keine Option sei: „Der Staat sei ethisch-freiheitlich inakzeptabel und alle seine Tätigkeiten ließen sich privatisieren beziehungsweise im Zuge freier Marktaktivitäten bereitstellen.“ (vgl. Mises-Report, S. 14). Der Staat (Justiz, Polizei, Gesundheits- und Bildungswesen, Gerichte, Militär) müsse vollständig durch Privatunternehmen ersetzt werden. Ein Jahr später hieß es: Demokratie sei Abstimmung mit dem Geldbeutel: „Die Demokratie in Gestalt des Mehrheitsprinzips sei nicht schützenswert. […] Nach Ludwig von Mises stimme jeder mit seinem Geldbeutel ab: Das sei wahre Demokratie.“ (vgl. Mises-Report, S. 22)

Umgesetzt wird dies im Privatstadtprojekt Pròspera in Honduras: Der Stimmanteil entspricht dem Anteil an Landbesitz – er könnte sich auch anhand des Aktienanteils oder zukünftig der finanziellen „Token“ bemessen. Am 20.03.2025 lud die AfD-Landtagsfraktion Bayern drei Vertreter des Mises-Instituts (den Präsidenten Thorsten Polleit, den Vorsitzenden Andreas Tiedtke und den Beirat Philipp Bagus) zu einer Podiumsdiskussion „Milei & Musk. Was kann Deutschland lernen?“ in den Bayerischen Landtag ein. Zuvor gab es am selben Tag ein Fachgespräch der Enquete-Kommission „Bürokratie-Abbau“ des Bayerischen Landtags, zu dem die AfD Philipp Bagus als Experten eingeladen hatte, den „Berater“ von Javier Milei.

Degussa Goldhandel: Proprietaristen in Leitungsfunktionen

Im „Degussa Goldhandel“ erhielten eine Reihe bekannter Proprietaristen Leitungsfunktionen, darunter Markus Krall und Christophe Lüttmann. Markus Krall wurde zum leitenden Geschäftsführer gemacht, der gleich am ersten Tag nach seiner Benennung einen Vortrag bei der AfD Schleswig-Holstein hielt. Danach wurde er immer wieder zu Vorträgen bei der AfD eingeladen, beispielsweise in Sachsen oder Bayern, wo er etwa die Abschaffung des Wahlrechts für Arbeitslose predigte.

Filialleiter von Degussa Goldhandel wurde Christophe Lüttmann, der zugleich Leiter des Hayek-Clubs Münsterland ist, in dem Naomi Seibt schon als Heranwachsende sozialisiert wurde. Die junge Influencerin Naomi Seibt hat jüngst durch ihre Kontakt-Aufnahme zu Elon Musk das Musk-Weidel-Gespräch in die Wege geleitet, das zu Musks AfD-Unterstützung geführt hat.

Die AfD sollte zunächst keine Partei werden

Relevant ist dies alles hinsichtlich der Gründungsphase der AfD. Im Jahr 2012 wollten nämlich Alexander Gauland, Konrad Adam und Bernd Lucke mit der Wahlalternative 2013 über die Freien Wähler in den Bundestag einziehen. Doch nach einem Vortrag bei den „Münchner Wirtschaftsgesprächen“ im November 2012 änderten sie ihre Meinung und planten doch eine eigene Partei. Erste Sprecherin der AfD wurde neben Lucke und Adam eine neue Person: Dagmar Metzger, Unternehmerin der „Wordstatt GmbH“, die sich als „Kapitalistin und Libertäre“ bezeichnete – und die „Münchner Wirtschaftsgespräche“ organisiert hatte. Jahre später konnte die Schweizer „WOZ” durch zugespielte Bewirtungsbelege beweisen, dass die AfD einen nicht unwesentlichen Teil der Anschubfinanzierung über Dagmar Metzger von August von Finck erhielt. Ohne das Geld von Finck hätte die AfD nicht so rasant starten können, wie sie es 2013 tat.

Der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass Dagmar Metzger die AfD 2014 verlassen hat. Nach dem Tod von August von Finck 2021 wurden Ring, Polleit, Krall und Lüttmann durch weniger ideologische Personen beim „Degussa Goldhandel“ ersetzt.

Die AfD und der Proprietarismus heute

Aber der proprietaristische Ansatz hat sich in der AfD erhalten. Metzger hatte Christian Lüth zu ihrem Nachfolger als Pressesprecher benannt. Lüth hatte zuvor als Leiter der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung Mittelamerika einen Mitarbeiter der Putsch-Regierung von Honduras nach Berlin eingeladen, der dort die proprietaristischen Privatstadt-Rahmenrichtlinien entwickelt hatte. Entsprechend forderte die AfD 2021 von der Bundesregierung einen Strategiewechsel in der Entwicklungspolitik: Entwicklungshilfe solle zentral durch die Errichtung von Sonderverwaltungszonen mit „autonomen rechtlichen und wirtschaftlichem Systemen“ („Charter Cities“) erfolgen, die von der deutschen Wirtschaft entwickelt werden sollten.

Ein anderes Beispiel ist Thomasz M. Froelich. Er ist AfD-Abgeordneter im Europaparlament. Er trat vor allem für Schulbildung ohne staatliche Eingriffe ein, verfasste darüber etwa 2015 das Buch „Bildungsvielfalt statt Bildungseinfalt. Bessere Bildung für alle ohne Staat“. Während einer Diskussion zum Buch vertrat Froelich die Position, dass es okay sei, wenn durch einen radikalen privatwirtschaftlichen Wettbewerb der Schulen nicht alle Schüler:innen eine Schulbildung erhalten sollten. Heute könne man sich auch an einer Playstation, wenn auch nicht Schreiben, so zumindest das Lesen selbst beibringen. Entsprechend verteidigt Froelich die Kinderarbeit und den Manchesterkapitalismus.

Als Froelich von der Jungen Alternative, dem damaligen Jugendverband der AfD, einstimmig für die EU-Wahl 2024 nominiert wurde, distanzierte er sich von seinen radikalsten proprietaristischen Positionen. Dafür propagiert er die Zusammenarbeit mit der polnischen Partei „Konfederacja“ die ebenfalls über einen proprietaristischen Flügel verfügt.

Mit der Zusammenarbeit mit Elon Musk erhält dieser proprietaristische Flügel Zulauf und Stärkung. Elon Musk lehnt Gewerkschaften ab und zerschlägt nun das Sozialsystem der USA. Dankend nahm er von Javier Milei die Kettensäge als Symbol für diese Zerschlagung und Zersägung entgegen und schwang sie mit Baseballkappe und Sonnenbrille vor dem Publikum der CPAC-Konferenz. Laut Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey wurde Musk durch die Radikalisierung seines ökonomischen Libertarismus zu den autoritären Agitatoren. Alice Weidel nennt sich im Zuge der Unterstützung und des Gesprächs mit Elon Musk erstmals „libertär-konservativ“ und nicht mehr „liberal-konservativ“. Und die ersten X-Beiträge von Musk zur AfD liefen über Naomi Seibt, die sich explizit als „anarcho-kapitalistisch“ bezeichnet.

Alice Weidel hatte ihre Doktorarbeit, in der sie auf Grundlage der neoliberalen Ideologie das chinesische Rentensystem kritisierte, beim Gesundheitsökonomen Peter Oberender geschrieben. Oberender forderte eine stärkere Privatisierung des Gesundheitssystems, und war wie Javier Milei und andere Proprietaristen ein Fürsprecher des Organhandels: Menschen, die ihre Familie nicht mehr ernähren könnten, sollten doch ihre Organe versteigern dürfen. Weidels Förderer Oberender zählte zu den Hauptzeichnern der Wahlalternative 2013. Durch ihn inspiriert trat Weidel der AfD bei. Mit Elon Musk im Rücken konnte sie nun erstmals die AfD als „libertär“-konservativ kennzeichnen.

Über den Gastautor: Andreas Kemper ist freischaffender Soziologe und arbeitet zu den Themen Klassismus, Faschismus, Antifeminismus und Proprietarismus (Rechts“libertarismus“).

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