SDA-Dokumente: Einblicke in Russlands digitale Desinformationsstrategie

Seit dem Beginn der großangelegten Invasion in die Ukraine versucht Russland verstärkt, die öffentliche Meinung im Ausland zu manipulieren. Der Kreml gibt Einflussoperationen im Internet in Auftrag an private Firmen wie der Social Design Agency (SDA). Eine Analyse von internen Dokumenten zeigt die Ziele, die Taktiken und das Vorgehen der Kampagnen sowie ihre Schwachstellen.

Die russische PR-Firma Social Design Agency (SDA) bekam im Herbst 2022 internationale Aufmerksamkeit, als sie vom Social-Media-Unternehmen Meta in Verbindung mit der verdeckten Online-Einflusskampagne Doppelgänger gebracht wurde. Im Zuge dieser Kampagne, die bis heute läuft, werden massenhaft Kopien von etablierten Nachrichtenseiten erstellt, um prorussische Desinformation und Propaganda zu verbreiten. Die SDA und ihr Gründer Ilja Gambaschidse wurden auf die Sanktionsliste in der EU und den USA gesetzt. Im September 2024 beschlagnahmte das US-Justizministerium 32 Domains, die für die Doppelgänger-Kampagne genutzt wurden, und veröffentlichte im Affidavit detaillierte Beschreibungen der Kampagne, Beweise, dass sie im Auftrag und in enger Abstimmung mit der russischen Präsidialverwaltung ausgeführt wurde, sowie mehrere interne SDA-Dokumente. Journalist:innen der Süddeutschen Zeitung, des Online-Nachrichtenmagazins Delfi Estonia und des WDR/ NDR erhielten weitere Dokumente der PR-Firma, den sogenannten Datensatz „Factory of Fakes“ und berichteten als erste darüber. CeMAS konnte einen Teil der Dokumente aus dem Datensatz einsehen und unabhängig auswerten.

SDA: Desinformation als Dienstleistung

Die Dokumente verdeutlichen, dass die SDA ihre Dienstleistungen als kommerzielle Produkte konzipiert und den Auftraggebenden gegenüber darstellt. Eine Präsentation listet beispielsweise „Produkte“ auf, die das Unternehmen erstellt: Medienmonitoring, analytische Berichte, Entwicklung der Narrative, lange und kurze Texte, Kommentare für soziale Medien, Karikaturen und Memes. Ein Werbevideo, das sich im Datensatz mit den geleakten Dokumenten befand, zeigt den Gründer der SDA, Ilja Gambaschidse, in Tarnuniform mit Abzeichen, das die Aufschrift „ideologischen Kräfte Russlands“ trägt. In einer Sequenz sitzt er am Rechner, neben dem eine Baseballcap mit dem TikTok-Logo liegt. Das Video soll offenbar den Eindruck vermitteln, dass Gambaschidses Team professionell und organisiert im Bereich Meinungsmanipulation für die Interessen der russischen Regierung arbeitet. „Wir arbeiten systematisch“, heißt es im Video, das mit Infografiken den eigenen Arbeitsprozess vom Monitoring bis zur Erstellung der Inhalte erklärt. So heißt es, seien 24 Menschen im Bereich des Monitorings tätig, die Datenbank für das Monitoring umfasse 300 Medien und mehr als 1000 „Meinungsführer“. In einem Jahr habe das Team 1500 analytische Berichte erstellt und mehr als 1000 Karikaturen gezeichnet. „Das Schlachtfeld sind Köpfe der Bewohner des Planeten Erde. Dieses Schlachtfeld wird uns gehören“, heißt es zum Schluss des Videos.

Im Bereich der digitalen Desinformation und Propaganda bedient sich die russische Regierung nicht zum ersten Mal der Dienstleistungen privater oder halb-privater Akteure. Sergey Sanovich führt die Ursprünge der ersten regierungsfreundlichen Meinungsmanipulation durch Online-Trolle in Russland auf die Industrie der Spam-Verbreitung und Suchmaschinenoptimierung zurück, die schon Mitte der 2000er Jahre in Russland florierte. Die international wohl bekannteste russische Trollfabrik „Internet Research Agency“ wurde vom Kreml-nahen Unternehmer Jewgeni Prigoschin betrieben. Die Firma von Gambaschidse hatten zuvor laut des eigenen Website Aufträge für PR-Aktivitäten von russischen Ministerien, dem Parlament, russischen Staatskonzernen und regionalen Verwaltungen bekommen. Die Ausführung durch private Akteure, die nach einem Prinzip von Marketing-Agenturen arbeiten, beeinflusst das Vorgehen der Kampagne: Messbare Ergebnisse wie Anzahl der veröffentlichten Posts und Kommentare, Anzahl der Views und Viralität der Inhalte werden besonders wichtig, um die Erfolge gegenüber den Auftraggebenden zu demonstrieren.

Übertreibung der Wirkung und Reichweite

“Die SDA-Dokumente enthalten detaillierte Metriken zu der Anzahl der erstellten und verbreiteten Inhalte und ihrer mutmaßlichen Reichweite. Die verfassten Social-Media-Kommentare wurden akribisch in Excel-Tabellen dokumentiert, inklusive Links zu gespeicherten Screenshots. In mehreren tabellarischen Berichten zu Aktivitäten in Deutschland in 2022 wurde neben jedem Kommentar auch die Reichweite („Coverage“) notiert. Diese wurde als ein Prozent der Gesamtanzahl der Follower:innen jener Facebook-Seite ausgerechnet, auf der Kommentare hinterlassen wurden. So wird beispielsweise für einen Kommentar unter einem Facebook-Post von Playboy Deutschland, einer Facebook-Seite mit über 2 Millionen Follower:innen, die Reichweite von 20.861 angeführt. Die auf diese Weise gemessene Gesamtreichweite der Kommentare wirkt stark übertrieben und irreführend: 31,4 Millionen in einem Metrik-Bericht aus dem Juli 2022; 26,7 Millionen in einer Tabelle mit Posts aus Mai und Juni 2022 und 165 Millionen in einem weiteren Bericht mit Posts, die zwischen Mai und August 2022 veröffentlicht wurden.

Das Bild zeigt Screenshot einer Excel-Tabelle mit Spalten, die “Creative ID”, “Link to Post”, “Link to Screenshot”, “Subscribers”, “Coverage”, “Comment” und “User” betitelt sind. Die Spalte “Link to Post” enthält Link zu Posts von Facebookseiten wie Decathlon, Playboy Deutschland, Zitty Berlin, Lidl, Deutschland 3000, Vogue Deutschland etc. Die Spalten “Subscribers” und “Coverage” enthalten Zahlen, wobei die Zahl in der Spalte “Coverage” immer 1/100 von der Zahl in der Spalte “Subscribers” ist. Die Spalte “Comment” enthält Texte der Kommentare, beispielswiese “Verdammt, die Ukrainer benehmen sich wie Besatzer!“. Die Spalte “User” enthält Namen von nicht-authentischen Facebook-Profilen wie “Fabienne Nadelman”.
Abbildung 1: Ein Ausschnitt aus einem tabellarischen Bericht über Aktivitäten in Deutschland.

In analytischen Dokumenten wurden außerdem politische Ereignisse ohne jegliche Belege als Folgen der russischen Desinformation dargestellt. So wurden in einem nach der Europawahl verfassten Dokument Wahlergebnisse der rechten Parteien als Resultat russischer Einflussbemühungen erachtet – als Belege dafür Zitate aus einem Medienbericht über russische Desinformation und eine Aussage des Vize-Präsidenten der Europäischen Kommission Josep Borrell herangeführt. Wie Thomas Rid in seiner Analyse der SDA-Dokumente anmerkt, versuchten russische Desinformationsakteure, bestehende gesellschaftliche Spaltungen und Trends zu verstärken, allerdings ohne einen sicheren Weg herauszufinden, wie stark ihre Einmischung dazu betrage, was ihnen erleichtern würde, sich selbst und die Geldgeber:innen von ihrer Effizienz zu überzeugen.

Ziele der Kampagnen

Die Dokumente geben detaillierten Einblick darin, welche Ziele der Kreml und von ihm beauftragte Desinformationsakteure sich setzten. Zu den Zielländern der Kampagne gehörten die Ukraine, Deutschland, Frankreich, Israel und die USA. Die erwähnten Ziele für die Ukraine umfassten Destabilisierung des Landes, Diskreditierung der politischen Führung und Spaltung der Eliten. Die SDA unterstützte außerdem die Bewegung „Die andere Ukraine“ des ukrainischen Kreml-Verbündeten Wiktor Medwedtschuk. Medwedtschuk sollte in der Ukraine und im Westen als „Kämpfer für die friedliche Zukunft der Ukraine“ dargestellt werden. Die Idee eines Friedens mit Russland sollte damit als eine aus der ukrainischen Gesellschaft kommende Bestrebung präsentiert werden.

Die Kampagnen in den westlichen Ländern strebten die Schwächung der Unterstützung für die Ukraine und Destabilisierung der Länder an. In einem der Dokumente wurden konkrete Zielvorgaben (KPIs) für Deutschland beschrieben, die an Umfragewerte gebunden waren. So sollten die Werte der AfD in Umfragen auf 20% steigen; die Anzahl der Menschen, die in Umfragen angeben, Angst vor der Zukunft zu haben, sollte auf mindestens 50% steigen; ebenfalls 55% der Deutschen sollten der Aussage zustimmen, sie würde ihren Wohlstand nicht für den Sieg über Russland aufopfern wollen; 40% sollten nicht dazu bereit sein, bei der Wahl für die Grünen abzustimmen.

Eine Karikatur zeigt: Einen blauen Hintergrund, die Aufschrift “AfD”, einen roten Pfeil, der eine Sonnenblume zerstört.
Abbildung 2: Eine von der SDA erstellte Karikatur.

Vorgehen, Strategien und Taktiken

Die SDA teilt ihre Arbeit in Monitoring, Analyse und Erstellung der Inhalte auf. In der Monitoring-Phase werden in den Zielländern Medien sowie Social-Media-Accounts der „Meinungsführer“ ausgewertet, um Themen und Narrative für Einflusskampagnen zu identifizieren. Die SDA wertet außerdem Meinungsumfragen in den Zielländern aus und führt eigene Online-Umfragen durch. Bei der Analyse werden politische Trends ausgewertet sowie Ideen und Empfehlungen für Narrative der Kampagne vorgegeben. Anschließend werden Inhalte für die Verbreitung Online erstellt. Die Dokumente erwähnen außerdem Graffiti sowie Fälschungen, die als „erweiterte Realität“ bezeichnet werden. Dazu gehören gefälschte Dokumente, gefälschte Screenshots von angeblichen Posts in sozialen Medien oder Messenger-Nachrichten. Das Werbevideo der SDA erwähnt beispielsweise einen gefälschten Bericht des Think-Tanks RAND – eine solche Fälschung wurde tatsächlich 2022 online verbreitet.

Das Bild zeigt Screenshot aus einem Video: Eine Collage mit dem Logo der US-Denkfabrik RAND, einem Foto der Außenministerin Annalena Baerbock am Besprechungstisch unter den Fahnen der NATO und der USA, Ausschnitte aus einem englischsprachigen Text des gefälschten RAND-Berichts sowie ein verpixeltes Bild einer gefälschten Spiegel-Online-Seite.
Abbildung 3: Ein SDA-Werbevideo zeigt Zitate aus einem gefälschten RAND-Bericht.

Für das deutsche Zielpublikum postete SDA Inhalte auf Facebook, Instagram, X, YouTube, TikTok, Telegram und Reddit. Während die Kampagnen auf Facebook und X gut dokumentiert sind, waren die Aktivitäten auf anderen Plattformen bisher weniger bekannt. Auf Telegram wurden im Zuge der Kampagne eigene Kanäle erstellt und Kommentare unter Posts authentischer Kanäle verfasst. Auf TikTok und YouTube wurden Videos mit Logos von etablierten Medien sowie ohne jegliche Logos verbreitet. Insgesamt zeigen die SDA-Dokumente, dass die Doppelgänger-Kampagne mit gefälschten Nachrichtenseiten nur einen Teil der Aktivitäten von der SDA ist. Andere Aktivitäten wie die Verbreitung von Memes, Videos, Fälschungen oder Kommentaren ohne jegliche Links oder Bilder waren bis jetzt nicht zur SDA attribuiert worden.

Einschränkungen und fehlende Informationen

Eine wesentliche Einschränkung bei der Arbeit mit geleakten Dokumenten besteht darin, dass es sich nicht mit hundertprozentiger Sicherheit überprüfen lässt, wie vollständig der geleakte Datensatz ist, warum ausgerechnet bestimmte Dokumente geleakt wurden und andere womöglich nicht, sowie ob sich im Datensatz manipulierte Dokumente befinden. Auffällig beim SDA-Datensatz ist, dass die meisten technischen Details wie Informationen zur Erstellung von gefälschten Nachrichtenseiten, Anmietung von Domains und die massenhafte Registrierung der nicht-authentischen Accounts in sozialen Medien in den Dokumenten fehlen. Vermutlich wurde zumindest ein Teil dieser Aktivitäten von der SDA an weitere Akteure in Auftrag gegeben. Es ist davon auszugehen, dass weitere Organisationen und Firmen in die Ausführung der SDA-Kampagnen involviert sind.

Dennoch gibt der SDA-Datensatz sehr wertvolle Einblicke in die Planung und Strategien der russischen Einflusskampagnen, ihre Taktiken und Vorgehen bei der Erstellung der Inhalte. Er sollte als Signal gewertet werden, die Bemühungen von Regierungen, Social-Media-Unternehmen und der Zivilgesellschaft zu verstärken, um diese Einflussversuche zu unterbinden.

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