Stimmungsmache über virale Sprachnachrichten

Autor:innen: Rocío Rocha Dietz

Stimmungsmache über virale Sprachnachrichten

Die meisten Menschen kennen Sprachnachrichten aus privaten Konversationen in Messengerdiensten. Sie sind aber auch ein Werkzeug, um Falschinformationen zu verbreiten. Das zeigte sich während der der Hochwasserkatastrophe 2021 und in der Covid-19 Pandemie. Aber auch aktuell für die Bundestagswahl 2021 und die Zeit danach werden Sprachnachrichten für die Verbreitung von Desinformation eine wichtige Rolle spielen. Wissenschaftlich analysiert wurden sie in diesem Zusammenhang bisher kaum.

Als die Welt sich im Frühjahr 2020 plötzlich auf eine Pandemie einstellen musste, wurden im Netz eine Vielzahl von Falschinformationen zum Covid-19 Virus verbreitet. Die WHO warnte deswegen früh vor einer sogenannten Infodemie. Eine dieser Falschinformationen war die Sprachnachricht einer „Elisabeth, die Mutter von Poldi”. Anfang März 2020 wurde diese über WhatsApp vielfach geteilt und ging schnell viral. Als Freundin einer angeblichen Krankenschwester der Medizinischen Universität in Wien behauptete sie, Insiderinformationen ihrer Whistleblower-Freundin über Forschungsergebnisse zu Wechselwirkungen von Ibuprofen und Covid-19 zu besitzen. Die Sprachnachricht empfanden viele als glaubwürdig. Sie verbreitete sich so stark, dass die Klinik eine öffentliche Stellungnahme zu der Desinformation abgeben musste. Damit hatte es eine einfache Sprachnachricht geschafft, Kapazitäten einer Klinik zu binden, die auch anders hätten eingesetzt werden können, als sich zu Desinformationen zu äußern.

Unter dem Begriff Desinformation werden in der Kommunikationswissenschaft Falschinformationen gefasst, die von Akteur:innen bewusst genutzt werden, um einen politischen, ökonomischen oder andersartigen Vorteil zu erzielen. Dies kann durch falsche Kontextualisierung von Informationen, manipulierte und fabrizierte oder gänzlich ausgedachte Inhalte geschehen. Eine solche Nachricht weiterzuleiten kann auch ohne schädliche Intention und ohne das Bewusstsein über den Wahrheitsgehalt der Information erfolgen, in solchen Fällen wird zumeist von Misinformationen gesprochen (Wardle & Derakhshan 2018). Innerhalb verschwörungsideologischer Milieus ist die Verbreitung von Des- und Misinformationen eine gängige Praxis, besonders dann, wenn diese Informationen die eigene Position oder Sichtweise bestätigen, wie auch die nachfolgenden Beispiele belegen.

Sprachnachrichten wirken emotionalisierend

Das deutschsprachige verschwörungsideologische Milieu nutzt besonders seit Beginn der Pandemie den Messenger Telegram für seine Kommunikation. Dazu gehören neben Texten, Memes und Videos auch Sprachnachrichten, die bisher nur wenig wissenschaftlich untersucht wurden. Dies ist von Bedeutung, da eine Audionachricht – anders als ein Text – über den Ton und den Gefühlsausdruck der aufgenommenen Stimme zusätzlich emotionalisierend wirkt und damit kommunikative Strategien der Überzeugung verstärkt. Gerade bei Nachrichten, die von Freunden oder Verwandten weitergeleitet werden, entsteht oft die Annahme, sie seien private und damit glaubwürdige Weiterleitungen (Wardle 2017).

Innerhalb des CeMAS-Datensatzes, der die Gruppen und Kanäle des deutschsprachigen verschwörungsideologischen Milieus umfasst, finden sich aktuell 67.554 Sprachnachrichten in Telegram Kanälen und 317.974 in Gruppen (ohne Weiterleitungen). Zur Vorstellung der Größenordnung: Wenn man alle diese Sprachnachrichten am Stück anhören würde, bräuchte man insgesamt 490 Tage dafür. Ein großer Teil dieser Sprachnachrichten besteht aus persönlicher Kommunikation: es wird sich einen guten Morgen gewünscht oder andere Alltäglichkeiten ausgetauscht. Diese Nachrichten haben meist keine große Reichweite, zeugen jedoch davon, dass hier Alltagskommunikation innerhalb einer Gemeinschaft stattfindet, fast wie im Familienchat. Die Inhalte dieser Sprachnachrichten erzeugen ein Gemeinschaftsgefühl und tragen so zum Aufbau einer Community bei. Sprachnachrichten, die weit geteilt werden und hohe Viewzahlen haben, enthalten dagegen oft Desinformation und Verschwörungserzählungen bis hin zur politischen Agitation.

Sprachnachrichten zur Bundestagswahl auf Telegram

Sprachnachricht zum vermeintlichen Wahlbetrug zur Bundestagswahl eines Kanals mit 30.000 Abonntenten Sprachnachricht zum vermeintlichen Wahlbetrug zur Bundestagswahl eines Kanals mit 30.000 Abonntenten

Zur Bundestagswahl 2021 meldet sich aktuell vermehrt der Kanal Diplomateninterviews in bis zu 10-minütigen Sprachnachrichten an seine annährend 30.000 Abonennt:innen. In einer mittlerweile über 50.000-mal betrachteten Nachricht vom 5. März 2021 bezeichnet ein aufgebrachter der Sprecher die Bundestagswahl als „gefaked” und fordert dazu auf, Beweise für einen angeblichen Wahlbetrug durch vermeintlich falsches versenden von Wahlzetteln zu sammeln. Auch in seinen darauffolgenden Sprachnachrichten warnt der Sprecher - zwischen ruhigem und aufgebrachtem Tonfall wechselnd - vor dem „offensichtlichsten Wahlbetrug seit jeher“. Diese Desinformation des angeblich bereits stattfindenden Wahlbetrugs wird auch in einer 110.000-mal betrachteten Sprachnachricht vom 28. August 2021 innerhalb eines der größten deutschsprachigen Q-Anon Kanälen von Alexander Quade verbreitet.

Darin warnt „der Alexander vom Telegramkanal Frag uns doch” in ruhigem Tonfall vor angeblichem Wahlbetrug. Indem er das rassistische Narrativ verbreitet, dass Wahlunterlagen auch an Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft geschickt worden seien, die nun die Wahl beeinflussen könnten. Im letzten Teil der Nachricht leitet der Sprecher die Nutzung von Dominion Wahlmaschinen bei der Bundestagswahl daraus ab, dass Deutschland angeblich in diese investiert hätte. Und ihm zusätzlich drei Angehörige einer Kommunalverwaltung angeblich bestätigt hätten, dass Fehler bei einer digitalen Datenübermittlung von Wähler:innenstimmen nicht auszuschließen seien. Dieses Beispiel zeigt exemplarisch die direkte Übernahme von verschwörungsideologischen Desinformationen aus dem letzten US-Wahlkampf, in dem Donald Trump haltlos die Wahlsoftware herstellende Firma Dominion des Wahlbetrugs beschuldigte. Noch deutlicher wird dieser Q-Anon Kanal in Sprachnachrichten vom 3. September, in denen vor einem angeblichen Betrug über die Briefwahl “so wie in den USA” gewarnt wird. Die vermeintliche Wahlmanipulation erfolge bereits in dem Moment, wo sich die Wähler:innen für die Briefwahl anmelden würden. Die echten Briefe würden erst gar nicht von der Post übermittelt werden. Abschließend verbreitet der Sprecher die Desinformation, dass die Teilnahme an der Wahl die Beteiligung an einer Straftat darstelle, da die Wahl eine Straftat sei.

wer an der Wahl teilnimmt unterstützt diese Straftat [der Wahlmanipulation; RR] und wird selbst zu Straftäter. Insofern lasst es sein…” Alexander

Herstellen von Nähe und Verweis auf Autorität

Die Kommunikationswissenschaft bezeichnet Strategien, die eingesetzt werden, um die Meinung oder Einstellung des:r Gesprächspartner:in zu verändern oder von etwas zu überzeugen, als persuasive Strategien. Das Auslösen eines emotionalen Zustandes bei dem oder der Gesprächspartner:in spielt dabei die entscheidende Rolle (Schwarz-Friesel 2013). Persuasion basiert daher vor allem auf einer positiven oder emotionalen Reaktion nicht nur auf Überzeugungsarbeit anhand von Argumenten. In Sprachnachrichten mit Desinformation finden sich zwei persuasive Kommunikationsstrategien: Das Berufen auf vermeintliche Authentizität durch Augenzeugen (oder Beteiligte) und der Verweis auf vermeintliche Autoritäten. Augenzeugen oder unmittelbar Beteiligte stellen Nähe zum Geschehen her und der Verweis auf angebliche Whistleblower:innen oder Insider:innen stellt deren professionelle Autorität heraus. In der Sprachnachricht des Q-Anon Kanals belegt Alexander Quade den angeblichen Wahlbetrug durch Verwendung der US-Wahlmaschinen mit Verweis auf die Angehörigen einer Kommunalverwaltung als angeblich unmittelbar Beteiligte. So wird Nähe zum beobachteten Geschehen suggeriert und versucht Glaubwürdigkeit herzustellen. Der Kanal Diplomateninterviews, verweist bereits im Namen auf eine vermeintliche Autorität von Expertenwissen um politische Belange und Insiderwissen. Was diese Autorität ausmacht, ist sowohl gesellschaftlich geprägt als auch von den Rezipient:innen abhängig. Im verschwörungsideologischen Milieu wird vor allem den Expert:innen Glauben geschenkt, deren Aussagen in die eigene Weltsicht passen oder die Narration bestätigen.

Telegram wird als vermeintlich privater Raum empfunden

Telegram bietet gute Voraussetzungen für die Verbreitung von Desinformation, da der Messenger Dienst verstärkende Gruppendynamiken aufweist. Gerade Chats in Gruppen werden als „privater” Raum empfunden, die im Datensatz häufig vorkommenden Sprachnachrichten der persönlichen Kommunikation des Alltags verdeutlichen dies. In diesem entfallen potentiell die moralische Selbstkontrolle durch eine mitlesende und gegebenenfalls widersprechende Öffentlichkeit, da sich diese Gruppen gegen Kritik abschotten. Dies kann zu einer sich gegenseitig bestärkenden Dynamik führen, in der radikale Aussagen und Desinformation unwidersprochen und unangezweifelt bleiben. Wie sich dies im Rahmen der Bundestagswahl innerhalb dieser Gruppen entwickelt, bleibt abzuwarten. Eine Gefahr besteht darin, dass Desinformationen zur Wahl in andere Netzwerke verbreitet werden und dort potentielle Wähler:innen außerhalb oder am Rand des verschwörungsideologischen Milieus durch diese so stark verunsichert werden, dass sie nicht am demokratischen Entscheidungsprozess teilnehmen.

Audioformate bei Strategien gegen virale Verbreitung von Desinformation mitdenken

Auch vor der Covid-19 Pandemie hatte es bereits ein massenhaftes Aufkommen von Falschmeldungen via dem Messenger WhatsApp gegeben. Im vergangenen Jahr wurde eine Weiterleitungskennzeichnung für Nachrichten eingeführt und Weiterleitungen zusätzlich begrenzt: nur noch einzeln, nicht an bis zu fünf Chats gleichzeitig ist es möglich. Laut Facebook ist diese Art der Begrenzung wirksam: In nur wenigen Wochen sank die Anzahl der massenhaft geteilten Beiträge um 70 Prozent. Um die virale Verbreitung von schädlicher Falsch- und Desinformation einzudämmen, wird aktuell vor allem auf Faktenüberprüfung und Medienkompetenzförderung gesetzt. Hier sollten zukünftig auch Sprachnachrichten aufgrund ihres besonderen persuasiven und emotionalen Potentials mitgedacht werden- und kontinuierlich weitere Strategien entwickelt werden.

Literatur

Bundeswahlleiter (2021) Erkennen und Bekämpfen von Desinformation. Online: https://www.bundeswahlleiter.de/bundestagswahlen/2021/fakten-fakenews.html [07.09.2021].

Ortak, N. (2017). Persuasion: Zur textlinguistischen Beschreibung eines dialogischen Strategiemusters. Berlin, Boston: Max Niemeyer Verlag.

Schwarz-Friesel, M. (2013). Sprache und Emotion. Tübingen, Basel: Francke (= UTB 2939)

Turcilo, L. & Obrenovic, M. (2020). Fehlinformationen, Desinformationen, Malinformationen: Ursachen, Entwicklungen und ihr Einfluss auf die Demokratie. Online:https://www.boell.de/sites/default/files/2020-08/200825_E-Paper3_DE.pdf [07.09.2021].

Wardle, C. (2017). Fake news. It’s complicated. Online: https://medium.com/1st-draft/fake-news-itscomplicated-d0f773766c79 [07.09.2021].

Wardle, C. & Derakhshan, H. (2018). Thinking about ‘information disorder’: Formats of misinformation, disinformation, and mal-information. In C. Ireton & J. Posetti Eds., Journalism, ‘Fake News’& Disinformation, 43–54. Paris: UNESCO.

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