Die türkeistämmige extreme Rechte in Deutschland als eine antisemitische politische Bewegung

Autor:innen: Dr. Ismail Küpeli

Obwohl es sich bei der türkischstämmigen extremen Rechten um die deutschlandweit zweitgrößte rechtsextreme Organisation handelt, ist das Wissen um ihre Ideologie in der öffentlichen Wahrnehmung vielfach unterrepräsentiert. Ein Blick auf die Spezifika und die Aktivitäten der türkischstämmigen extremen Rechten in Deutschland.

Inzwischen wird in Deutschland die Tatsache, dass die deutsche Gesellschaft vielfältig ist und von zahlreichen Migrationsbewegungen mitgestaltet wurde, nicht mehr abgestritten. Dies war nicht immer der Fall: über viele Jahrzehnte war die banale Tatsache, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, politisch umkämpft. Bis in die 1980er Jahre gab es noch Versuche deutscher Regierungen, die Migrationsbewegungen rückgängig zu machen, etwa durch das sogenannte Rückkehrhilfegesetz 1983. Damit sollten insbesondere türkeistämmige Menschen dazu forciert werden, Deutschland zu verlassen. Aber auch in den Jahren danach versuchten deutsche Regierungen Migration und Flucht nach Deutschland zu erschweren. Dies erschwerte zwar das Leben von Migrant:innen und Geflüchteten, konnte aber (wenig überraschend) Migration und Flucht nicht verhindern.

Während heute die Tatsache, dass Deutschland eine Einwanderungsgesellschaft ist, weitgehend anerkannt ist, ist der nächste Erkenntnisschritt bei weitem nicht so etabliert: nämlich, dass in einer vielfältigen Migrationsgesellschaft auch die politischen Akteur:innen vielfältig sind und sich sehr unterschiedlichen politischen, gesellschaftlichen und historischen Bezügen bedienen. So bleibt vielfach unbeachtet, dass die türkischstämmige extreme Rechte mit über 7.000 Anhänger:innen die zweitgrößte extrem rechte Organisation in Deutschland ist – nach der „Alternative für Deutschland“ (AfD) mit über 40.000 Mitgliedern (vgl. Küpeli 2023: 7). Ebenso wird die türkischstämmige extreme Rechte in Deutschland anhand einer „Brille“, die sich bei der Beschäftigung mit der „herkunftsdeutschen“ extremen Rechten etabliert hat, betrachtet. Dabei gehen die Spezifika dieser konkreten politischen Bewegung bisweilen verloren.

Die extreme Rechte und der türkische Staatsapparat

Die wichtigste Besonderheit der türkischen extremen Rechten im Unterschied zu der „herkunftsdeutschen“ extremen Rechten ist die weitgehend ungebrochene Zusammenarbeit zwischen dem nationalistischen und rechten Staatsapparat und der extremen Rechten. Während in Deutschland nach 1945 extrem rechte Parteien an keiner Regierungskoalition, weder auf Bundes- noch auf Landesebene beteiligt waren, war die Situation in der Türkei eine gänzlich andere. Nicht nur ist die extrem rechte „Partei der Nationalistischen Bewegung“ (MHP) seit 2015 Bündnispartnerin der rechten „Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung“ (AKP). Sondern bereits in den 1970ern und 1990ern war die MHP immer wieder Teil von rechten Koalitionen. Darüber hinaus haben paramilitärische Akteure aus dem Umfeld der MHP die staatliche Repression und Gewalt gegen Linke und Kurd:innen mit unterstützt, etwa durch zahlreiche politische Morde in den 1970ern und bei der Terrorisierung der kurdischen Bevölkerungen in den 1980ern und 1990ern (vgl. Küpeli 2023: 6-7). Damit erhalten extrem rechte Kräfte in der Türkei eine große politische Macht und können über den Staatsapparat ihre Ideologie in weite Teile der Bevölkerung tragen.

Antisemitismus als tragende Säule

Die Ideologie der türkischen extremen Rechten beinhaltet neben Nationalismus, Rassismus und Sexismus auch Antisemitismus, der auch in der Entstehungsphase der türkischen extremen Rechten in den 1940er Jahren eine besondere Rolle gespielt hat. Die türkische extreme Rechte konnte den türkischen Antisemitismus mit Elementen des NS-Antisemitismus ergänzen und verstärken und mit Duldung der rechten und autoritären Staatsführung diesen noch weiter radikalisierten Antisemitismus in der türkischen Öffentlichkeit verbreiten. Auch nach 1945 war Antisemitismus schon fast selbstverständlich und nahezu alle rechten und extremen rechten Kräfte griffen auf antisemitische Narrative zurück. Auch die Zusammenführung des türkischen Nationalismus mit Islamismus im Rahmen der sogenannten „türkisch-islamischen Synthese“ in den 1970er wurde möglich gemacht durch antisemitische Feindbildkonstruktionen, in denen Juden zur Strippenziehern hinter allen negativen gesellschaftlichen Entwicklungen erklärt wurden und Nationalist:innen und Islamist:innen zum gemeinsamen Kampf gegen Juden aufgerufen wurden. Als Beispiel für diese Entwicklung kann das Theaterstück Mas-Kom-Yah, dessen Titel sich aus den ersten Silben der Begriffe »Mason« (»Freimaurer«), »Komünist« (»Kommunist«) und »Yahudi« (»Jude«) zusammensetzt, dienen, das 1975 von Recep Tayyip Erdoğan, dem heutigen Staatspräsidenten der Türkei, produziert und aufgeführt wurde (vgl. Küpeli 2021: 234-239).

Antisemitismus als Brückenideologie in Deutschland

Während Antisemitismus für die extreme Rechte in der Türkei ein Ideologieelement neben anderen wie etwa Nationalismus und Rassismus ist, gewinnt Judenfeindschaft für die türkischstämmige extreme Rechte in Deutschland eine besondere Relevanz. So sind verschiedene Ideologieelemente aus der Türkei, wie etwa der antiarmenische Rassismus, in Deutschland nur wenig anschlussfähig und werden von politischen Kräften außerhalb des eigenen Milieus nur selten unterstützt. Dies führt insbesondere in den letzten Jahren dazu, dass die türkischstämmige extreme Rechte zwar den antiarmenischen Rassismus weiterhin propagiert und für die internen Zusammenhalt auch einsetzt, aber in der Kommunikation und Zusammenarbeit mit anderen politischen Kräften zunehmend auf Antisemitismus setzt (vgl. Küpeli 2023: 8-10). Dabei werden Elemente des türkischen Antisemitismus, die zwar in den gesellschaftlichen Kontexten der Türkei relevant sind, wie etwa die Verschwörungserzählung um angebliche Kryptojuden, durch Elemente des israelbezogenen Antisemitismus ersetzt. Dadurch passt sich der Antisemitismus der türkischstämmigen extremen Rechten gewissermaßen dem globalen Mainstream des Antisemitismus an und erhöht die Anschlussfähigkeit gegenüber anderen politischen Milieus. Die deutsche Öffentlichkeit hat insbesondere bei den antiisraelischen Protesten im Mai 2021 zum ersten Mal deutlich wahrgenommen, dass die türkeistämmige extreme Rechte ein relevanter antisemitischer Akteur ist. Auch bei der Welle des israelbezogenen Antisemitismus seit dem Hamas-Terrorangriff am 7. Oktober 2023 ist die türkischstämmige Rechte und die extreme Rechte stark involviert.

Was tun?

Adäquate Analysen der und erfolgversprechende Strategien gegen die türkischstämmige extreme Rechte in Deutschland müssen sowohl die historischen Spezifika (d.h. die enge Verknüpfung mit dem Staatsapparat in der Türkei) als auch die besondere Rolle des Antisemitismus für die Ideologie und Mobilisierungskraft dieser politischen Bewegung berücksichtigen. Darüber hinaus bedarf es eines systematischen Monitorings der digitalen Aktivitäten der türkischstämmigen extremen Rechten, weil der digitale Raum in den letzten Jahren immer mehr an Relevanz gewonnen hat (vgl. Amadeu Antonio Stiftung 2019: 14-19). Dieser Bedeutungsgewinn spiegelt sich bisher nicht in den Analysen wider, die sich ausschließlich auf den analogen Raum fokussieren. Ebenso sollten nicht nur explizit extrem rechte Organisationen beobachtet werden, sondern auch türkische staatsnahe Institutionen. Ideologieelemente wie etwa der antiarmenische Rassismus oder israelbezogener Antisemitismus werden nämlich auch durch Moscheevereine des Dachverbands DITIB verbreitet und nicht nur durch Organisationen der sogenannten „Grauen Wölfe“. Auch sollten die antiisraelischen Äußerungen und Handlungen der türkischstämmigen extremen Rechten nicht als emotionale Reaktionen auf den Nahostkonflikt verharmlost werden, sondern als politische Taten, die sich aus der Ideologie dieser Bewegung ableiten, erklärt werden.

Literatur

Amadeu Antonio Stiftung (2019): Online-Lebenswelten als Orte der Radikalisierung. Hate Speech in islamistisch, türkisch- und russisch-nationalistisch geprägten Online-Szenen, Berlin: Amadeu Antonio Stiftung.

Küpeli, Ismail (2021): Für Türkentum und Islam, gegen Freimaurer, Kommunisten und Juden, in: Nicolaus Schafhausen / Mirjam Zadoff (Hrsg.): Tell me about yesterday tomorrow, München: Hirmer Verlag, S. 234-239.

Küpeli, Ismail (2023): Verschwörungsnarrative im türkischen Nationalismus (CARS Working Papers Nr. 13), Aachen: Centrum für Antisemitismus- und Rassismusstudien (CARS).

Über den Gastautor: Dr. Ismail Küpeli ist als Projektkoordinator an der Ruhr-Universität Bochum zuständig für das Projekt Dersim 1937/38. Küpeli promovierte an der Universität zu Köln mit der Dissertation „Die kurdische Frage in der Türkei. Über die gewaltsame Durchsetzung von Nationalstaatlichkeit“. Seine Forschungsschwerpunkte sind Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus – sowohl in den Mehrheitsgesellschaften als auch innerhalb der jeweiligen Minderheiten.

@kupeli.bsky.social
@ismail_kuepeli

Folgen Sie uns auf