Über den "Trugbild-Zionismus" der AfD: Wie die Konflikte im Nahen Osten die Partei spalten

Nachdem der bisher im Schatten geführte Krieg zwischen der Islamischen Republik Iran und Israel nun in einen offenen Konflikt umgeschlagen ist, bröckelt in der AfD die vermeintliche Israelsolidarität. Zwischen deutscher Geschichte, “Germany First”-Rhetorik und erstarktem Antiamerikanismus zeigt sich: Der Krieg im Nahen Osten könnte auch innerparteilich zum ideologischen Wendepunkt werden.

Der israelisch-amerikanische Angriff auf den Iran als Zäsur

In den frühen Morgenstunden des 13. Juni 2025 erwachte die iranische Bevölkerung durch das Donnern von Explosionen. Israel hatte seine “Operation Rising Lion” begonnen. Damit schlug der – durch Geheimdienstoperationen und Proxys – lange Zeit verdeckt geführte Krieg in einen offenen Konflikt um. Die israelische Regierung handelte wohl in Absprache mit US-Präsident Donald J. Trump. Dieser ließ sich etwas Zeit, ehe er die Operation “Midnight Hammer” anordnete. Israel und die USA verübten präventive Militärschläge gegen Ziele im Iran, um die Bedrohung durch Atomwaffen aufzuhalten. Die Islamische Republik reagierte mit Raketenbeschuss auf israelische Bevölkerungszentren wie Tel Aviv und Haifa sowie die US-Luftwaffenbasis Al Udeid in Katar. Weltweit war die Sorge zu hören, dass es nun zu einem länger anhaltenden Krieg mit internationaler Beteiligung kommen könnte. Trumps Luftschlägen mit sogenannten bunkerbrechenden Bomben war ein leidenschaftlicher Streit innerhalb der Republikanischen Partei vorausgegangen. Besonders das Interview zwischen dem rechtspopulistischen Talkshowmoderator Tucker Carlson und dem republikanischen Senator Ted Cruz dürfte vielen in Erinnerung bleiben.

Nicht nur in den USA, auch in Deutschlands extremer Rechten um die AfD zog der Krieg Effekte und schlagartige Verwerfungen nach sich. Denn lange hatten große Teile der Partei eine vermeintlich geschlossene pro-israelische Haltung vertreten – die Monty Ott und ich als “Trugbild-Zionismus” bezeichnen. Die vermeintlich pro-israelische Haltung ist ein Trugbild, weil “die vermeintliche Sympathie für und Allianz mit Israel als Feigenblatt dienen soll. Dieses Feigenblatt nutzt die AfD, um rassistische Positionierungen zu verschleiern und den bürgerlichen Schein zu wahren.

Mit dem “Trugbild-Zionismus” ist eine Lesart in der politischen Rechten Europas gemeint, die Jüdinnen:Juden als “europäisch, israelfreundlich und antimuslimisch” imaginiert und den jüdischen Staat Israel als “europäische Grenze” gegen die arabische Welt. Daraus folgen für die extreme Rechte ein strategischer Antisemitismus und ein rein instrumentelles Verhältnis zu Israel. Die vermeintliche Sympathie für Israel und die damit suggerierte Allianz sind ein Feigenblatt, um einerseits rassistische und antimuslimische Positionen zu verschleiern und letztlich die rechtsextreme Idee des “Ethnopluralismus”, also eines “Rassismus ohne Rassen”, zu unterstützen: Denn wenn Jüdinnen:Juden nach Israel gehen, sind sie nicht mehr in Europa.

Das Bild hatte bereits nach den Massakern und der systematisch verübten sexuellen Gewalt der islamistischen Terrororganisation Hamas am 7. Oktober 2023 in Israel und dem darauffolgenden Krieg verstärkte Risse bekommen, sodass der AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla ein Jahr später in der Bundestagsdebatte von einem Ende “exklusiver Solidaritätsbekundungen” und “einseitiger Parteinahmen” sprach.

Bruchlinien in der AfD: Zwischen “Staatsräson” und Antiamerikanismus

Die israelisch-amerikanischen Angriffe wirken wie ein Katalysator für die Spannungen in der AfD. Die Hegemonie des “Trugbild-Zionismus”, der seit Jahren vor allem in Abgrenzung zur (antizionistischen) Linken und islamistischen Gruppierungen diente, wird zunehmend infrage gestellt. Im Oktober 2023 stimmte die AfD-Bundestagsfraktion noch einer Resolution der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen zu, in der es unter anderem hieß: “Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson.” Auf der einen Seite gerieren sich Akteure wie die “Juden in der AfD” (JAfD) rund um den hessischen Landtagsabgeordneten Dimitri Schulz oder der Ehrenvorsitzende der Partei Alexander Gauland weiterhin als Unterstützer des jüdischen Staates. Der bayerische AfD-Bundestagsabgeordnete Rainer Kraft unterstützte die israelisch-amerikanischen Angriffe und untermauerte seine Unterstützung für Israel in einem Gastbeitrag für das rechtsalternative Online-Portal Apollo News mit Zitaten aus der Bundestagsrede Alexander Gaulands von Anfang Juni 2025.

Auf der anderen Seite allerdings formieren sich in der AfD auch lautstarke Gegenstimmen gegenüber dieser vermeintlichen Staatsräson. AfD-Mitglieder sehen die Solidarität mit Israel lediglich als Konsequenz der deutschen Geschichte und des Nationalsozialismus, die sich auch auf die deutsche Außenpolitik auswirke, nicht als wirkliche Notwendigkeit.

So äußerten sich die Thüringer Bundestagsabgeordneten Torben Braga und Christopher Drößler kritisch gegenüber der Unterstützung Israels, die Drößler auf der Plattform X (früher Twitter) als “fortwährende Selbstgeißelung” bezeichnete. Der Thüringer AfD-Fraktionschef Björn Höcke sprach am 18. Juni im Landtag davon, dass Israel durch “exzellente Lobbyarbeit in den militärisch entscheidenden Ländern, allen voran den USA”, abgesichert sei. In einem ähnlichen Duktus äußerte sich der Brandenburger Landtagsabgeordnete Dominik Kaufner, der nach den israelischen Angriffen davon sprach, dass “Saudi Arabien und andere arabische Staaten von der zionistisch-atlantischen Seite eingekauft” worden seien. Die Behauptung, Israel kontrolliere Regierungen wie die der USA durch Geld und Lobbyorganisationen, greift auf antisemitische Stereotype zurück, insbesondere die Vorstellung einer jüdischen Weltverschwörung und des vermeintlichen jüdischen Einflusses auf Politik und Wirtschaft. Das gipfelt in Begriffen wie “Zionist Occupied Government” (ZOG). Solche Narrative knüpfen an jahrhundertealte antisemitische Verschwörungserzählungen an und wurden historisch genutzt, um Jüdinnen:Juden zu dämonisieren, auszugrenzen und zu ermorden.

“Germany First”-Außenpolitik und die Verknüpfung mit Migration

Der Vorwurf der AfD an die vorherige und aktuelle Bundesregierung ist, dass sich Deutschland aufgrund der eigenen Geschichte und der “Staatsräson” in einer bedingungslosen Gefolgschaft gegenüber den USA und Israel befände. Deutsche Waffenlieferungen an Israel würden aber die Kriege in der Region weiter befeuern. Dieses Verhältnis wollen einige in der AfD nun offenbar nicht mehr so hinnehmen. So proklamierte Christopher Drößler: “Unsere Staatsräson heißt Deutschland!”

Tweet von Christopher Drößler auf X.
Tweet von Christopher Drößler (AfD) auf X

Auch Björn Höcke sprach in seiner Landtagsrede davon, dass man"die Souveränität Deutschlands zurückzugewinnen“müsse. Ihre Aussagen zeigen eine stärkere Verschiebung von einer vermeintlich pro-israelischen Haltung zu einem national-souveränistischen und antitransnationalen Kurs, der sich vermehrt auch gegen Israel richtet. Zunehmend propagiert die AfD auch außenpolitisch eine “Germany First”-Politik – ganz offensichtlich angelehnt an die “America First”-Rhetorik des US-Präsidenten Trump. Militärische Interventionen wie im Nahen Osten seien abzulehnen und diplomatische Bestrebungen lobenswert. Nicht nur aus moralischen, sondern auch aus praktischen Gründen. Denn mehr Kriege bedeuten im Weltbild der AfD auch mehr (muslimische) Geflüchtete oder die Gefahr von Anschlägen in Deutschland. Das machten die Bundessprecher:innen Alice Weidel und Tino Chrupalla, verpackt in dem selbsternannten Image der Friedenspartei, in mehreren Stellungnahmen deutlich.

Das Vorantreiben des Vorfeldes

Einen Monat nach dem 7. Oktober 2023 sprach der damalige AfD-Europaabgeordnete und heutige Bundestagsabgeordnete Maximilian Krah beim rechtsextremen Institut für Staatspolitik in Schnellroda über das “Minenfeld Nahost-Konflikt”. Er bekundete zwar Sympathien für den Staat Israel, aber machte auch damals schon deutlich, dass Deutschland keine “besondere Verantwortung” für diesen habe. Eine Position, die seit dem Juni 2025 häufiger im und um das Vorfeld der AfD zu hören ist.

Akteure aus der Identitären Bewegung positionierten sich ähnlich skeptisch gegenüber der deutschen Israel-Politik und forderten bereits seit längerem eine Außenpolitik, die sich aus ihrer Sicht vor allem auf deutsche Interessen beschränken soll. Viel klarer ist das rechtsextreme Compact-Magazin und sein Chefredakteur Jürgen Elsässer: Sein Narrativ vom antiimperialistischen Kampf gegen die israelisch-amerikanische Hegemonie, die im Nahen und Mittleren Osten alles destabilisiere, hat es mit dem Titel “Der Brandstifter: Wie Netanjahu die Welt anzündet” auf das Cover der Juli-Ausgabe seines Magazins geschafft. Zuvor wurde Elsässer für seinen Zuspruch für die Klimaaktivistin Greta Thunberg, die als Teil der “Freedom Flottila” versuchte mit einem Schiff die israelische Blockade vor dem Gazastreifen zu durchbrechen, von JAfD-Mitglied Dimitri Schulz hart angegangen. Der hessische Landtagsabgeordnete schrieb, dass “Israelfeinde wie Elsässer […] die AfD meiden [sollten]!”

Tweet von Dimitri Schulz auf X.
Tweet von Dimitri Schulz (AfD) auf X.

Robert Teske, Bundestagsabgeordneter aus Thüringen, stellte sich schützend vor Elsässer und teilte mit, dass “wir […] als Partei keine etablierten Vorfeldmedien meiden [werden], nur weil man dort das Vorgehen Israels in Gaza ablehnt”.

Tweet von Robert Teske auf X
Tweet von Robert Teske (AfD) auf X

Wie entscheidend die politische Ausrichtung der AfD von ihrem “Vorfeld” abhängt, zeigte sich etwa durch die Forderung nach “Remigration”, die maßgeblich von der Identitären Bewegung und ihrem Gesicht Martin Sellner proklamiert wurde und schließlich vollkommen in die Agitation der AfD übergegangen ist. Diese rechtsextremen Vorfeld-Kreise liefern Argumentationen, an denen sich Parteifunktionäre wie Höcke orientieren. Nun scheinen sie auch dazu zu dienen, den antiisraelischen Schwenk innerhalb der Parteibasis zu legitimieren.

Denn laut der 2025 veröffentlichten Studie “Deutschland und Israel heute. Zwischen Stabilität und Spannung der Bertelsmann-Stiftung stimmten beispielsweise 37 Prozent der AfD-Wähler:innen der Aussage zu, dass “durch die israelische Politik […] mir die Juden immer unsympathischer” würden. Das war die höchste Zustimmung unter den Wähler:innen aller Parteien. Und auch beim Compact-Magazin wurde im Zuge des gescheiterten Verbotsverfahren durch verschiedene Institutionen festgestellt, dass es antisemitische Verschwörungserzählungen verbreitet. Es verschärft sich also der Konflikt mit unklarem Ausgang. Wird sich der “Trugbild-Zionismus” halten können? Im Moment sieht es eher danach aus, dass nationalistische und antisemitische Kräfte in der Partei die strategische Solidarität mit Israel aufgeben wollen.

Über den Gastautor: Ruben Gerczikow ist Autor und hat Publizistik und Kommunikationswissenschaften studiert. Er recherchiert zu antisemitischen Strukturen im analogen und digitalen Raum. Er hat in der Vergangenheit bereits für Medien wie den Spiegel, die FAZ, den Tagesspiegel und die ZEIT geschrieben. Seine Veröffentlichungen behandeln die Themenfelder Antisemitismus, Rechtsextremismus, Islamismus und jüdische Gegenwart. Anfang 2023 ist sein gemeinsam mit Monty Ott verfasster Reportageband „,Wir lassen uns nicht unterkriegen‘ - Junge jüdische Politik“ in Deutschland im Verlag Hentrich & Hentrich erschienen. Im Herbst 2025 erscheint im Verlag Die Werkstatt der von Monty Ott und Ruben Gerczikow herausgegebene Sammelband “Juden auf dem Platz, Juden auf den Rängen - Jüdische Lebenswirklichkeiten und Antisemitismus im Fußball heute”.

@RubenGerczi

@RubenGerczi

@rubengerczi.bsky.social

Folgen Sie uns auf