Wahloptionen von Verschwörungs­ideolog:innen

Wahloptionen von Verschwörungs­ideolog:innen

Wer mit Verschwörungsideologien in Kontakt kommt, findet darin nicht nur vermeintliche Erklärmuster, wie Alles mit Allem zusammenhängt, sondern wird auch häufig politisiert. Im Rahmen der Bundestagswahl 2021 stellen sich deshalb mit Blick auf das verschwörungsideologische Milieu einige Fragen: Wie stehen Verschwörungsideolog:innen zu Wahlen? Welche Handlungsoptionen werden innerhalb des Milieus diskutiert? Und welche politischen Akteure könnten durch Verschwörungsideologien profitieren?

Verschwörungs­ideologien sind populistisch

Verschwörungsideologien sind in der Gesellschaft weit verbreitet. Sie werden immer wieder gezielt auch zur politischen Mobilisierung genutzt. Dass sie sich dafür so gut eignen ist kein Zufall: Verschwörungsideologien weisen eine enge Verbindung zum Populismus auf. Aus einer theoretischen Perspektive stellen beide eine „dünne“ Ideologie dar. Das heißt, sie können mit anderen, umfassenderen Ideologien (Rechtskonservatismus, Nationalismus, Sozialismus) zusammen auftreten. Im Zentrum von Populismus und Verschwörungsideologien steht die Vereinfachung politischer und anderer gesellschaftlicher Konflikte und Widersprüche auf ein Gegeneinander von Volk vs. Elite.

Die Populismusforschung hat als eine Besonderheit des Populismus herausgestellt, dass in ihm alle anderen Themen um diese zentrale Gegenüberstellung herum angeordnet werden. Darüber hinaus wird im Populismus das Volk als Einheit begriffen, dessen Willen die Regierung umzusetzen habe, womit auch antipluralistische Positionen einhergehen: Parteien stehen hier im Gegensatz zur Vorstellung eines einheitlichen Volkswillens. Genau das findet sich auch innerhalb von Verschwörungsideologien. Insgesamt lässt sich feststellen: Nicht alle Formen des Populismus nutzen verschwörungsideologische Elemente, aber alle gegenwärtigen Verschwörungsideologien sind populistisch (Bergmann & Butter, 2020; Rathje, 2017; Rensmann, 2006).

Wahl­empfehlungen aus dem Milieu

Wie in der Gesellschaft allgemein, spielt die Bundestagswahl ebenfalls eine Rolle im verschwörungsideologischen Milieu. Es wird immer wieder diskutiert, wie man diese strategisch für sich nutzen kann. Unter den Anhänger:innen sind drei Optionen besonders populär: Wahl der AfD, Wahlboykott oder die Wahl von Kleinstparteien. Alle drei tragen eindeutig populistische Züge, was sich exemplarisch an einer Diskussion zentraler deutscher Verschwörungsideolog:innen zeigen lässt.

Das Thema der einer Mitte Juni 2021 durchgeführten und auf YouTube hochgeladenen Debatte zentraler Verschwörungsideologen war „Was tun statt wählen“ (DIE KONFERENZ, 2021). Es handelt sich dabei um eine Gruppierung besonders reichweitestarker Akteure, die innerhalb des Milieus als Gatekeeper fungieren und maßgeblich den Diskurs der verschwörungsideologischen Szene beeinflussen. Zwar hat das Video nur knapp über 7.000 Views, und auch auf Telegram keine allzu große Reichweite erzeugen können (Stand August 2021), es ist jedoch davon auszugehen, dass beteiligten Akteure ihre Überzeugungen auch in andere Inhalten auf ihren reichweitenstarken Kanälen einfließen lassen.

Wie zu erwarten, empfahlen einige Diskutierende die Wahl der populistischen Alternative für Deutschland (AfD) aus realpolitischen Gründen. Die AfD nutzt schon seit langem verschwörungsideologische Narrative zur Wähler:innenmobilisierung. Die Wahl dieser Oppositionspartei sei der Weg, um überhaupt etwas bewirken zu können, da die Alternative für Deutschland die einzige Partei sei, die sich für die Heimat, Kultur und basisdemokratische Elemente in ihrem Parteiprogramm einsetzen würde. Der letzte Punkt beinhaltet die populistische Vorstellung der unmittelbaren Umsetzung eines geeinten Volkswillens gegen die Interessen der etablierten Parteien und Eliten. In dieser Vorstellung hat das Volk lediglich eine Meinung, die gegen die Eliten durchgesetzt werden müsse. Demokratie beinhaltet, aber politischen Widerspruch, die Bevölkerung eines Staates hat nicht bloß eine Meinung, sondern viele verschiedene. In verschwörungsideologischen Vorstellungen sind andere Meinungen und politischer Widerspruch jedoch nicht vorgesehen und werden als Teil einer Strategie der mutmaßlichen Verschwörer:innen (“Teile und Herrsche”) verleumdet.

Dagegen zeichnete sich jedoch auch eine andere populistische Position innerhalb der Diskussion ab. Anhänger eines Wahlboykotts begründeten einhellig ihre Handlungsempfehlung mit der fundamentalen Ablehnung des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschlands und der Bundesrepublik selbst. Abgesehen davon, dass Deutschland kein souveräner Staat sei und unter Besatzung stünde, sei der Einfluss des „Geldsystems“ und finanzkräftiger Eliten, etwa der Freimaurer, der Bilderberg Gruppe oder der „Satanisten“, so hoch, dass Wahlen nichts bewirken könnten. An dieser Stelle zeigt sich nicht nur die Demokratiefeindlichkeit innerhalb der Bewegung, sondern auch die Anschlussfähigkeit an antisemitische Narrative. Parteien seien nicht in der Lage den Volkswillen zu vertreten, und würden von den Herrschenden zur Spaltung des Volkes eingesetzt. Den Vertretern des Wahlboykotts setzten Anhänger der AfD-Wahl entgegen, dass ihre Handlungsempfehlung keine Veränderung bewirken, oder gar einen Systemwechsel herbeizuführen würde.

Hoffnung auf verschwörungs­ideologische Parteien

Eine weitere Handlungsoption zeichnete sich bereits sehr schnell in der Aufbauphase der aktuellen verschwörungsideologischen Bewegung ab: Die Gründung eigener Parteien. Nachdem sich jedoch der erste Versuch der Gründung von Widerstand2020 mit Bodo Schiffmann und Ralf Ludwig wegen Streitigkeiten bereits nach wenigen Wochen gescheitert war (Quent & Rathje, 2020), folgten weitere Abspaltungen und Parallelgründungen. Ein Teil der verschwörungsideologischen Führungsriege ist derzeit in der Partei dieBasis organisiert, die neben den Spaltparteien Wir2020 und WiR2020, zur Bundestagswahl zugelassen wurde (Der Bundeswahlleiter, 2021). Wir2020 und WiR2020 stellten aber keine Landeslisten oder Wahlkreiskandidat:innen auf, weshalb sie nicht gewählt werden können (Der Bundeswahlleiter, 2021).

Die Erfolgsaussichten dürften allerdings gering ausfallen. Es ist nicht davon auszugehen, dass diese Parteien die 5-Prozent-Hürde überschreiten werden oder genügend Erststimmen auf Ihre Kandidat:innen vereinen können. Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt konnte dieBasis nur 0,7% der Erst- und 1,7% der Zweitstimmen gewinnen, WiR2020 erhielt 0,2%. Auch innerhalb der verschwörungsideologischen Szene hat dieBasis nicht nur Sympathien: Der innerhalb der aktuellen verschwörungsideologischen Bewegung stark verbreitete Vorwurf, „gesteuerte Opposition“ zu sein, trifft auch dieBasis. Gleichzeitig ist die Konkurrenz untereinander um die gleiche Klientel sehr hoch. Mindestens fünf verschwörungsideologische Parteien, darunter alte, wesentlich erfahrenere Akteur:innen, wie die Deutsche Mitte oder die Bürgerinitiative Solidarität der verschwörungsideologischen LaRouche Gruppe, konkurrieren um die gleiche Wähler:innenschaft.

Keine der Optionen wirkungsvoll

Im verschwörungsideologischen Milieu werden derzeit drei Handlungsoptionen zur Bundestagswahl diskutiert: Wahl der AfD, Wahlboykott und Wahl einer Kleinstpartei. Diese Strategien spiegeln sich auch im individuellen Handeln wider, wenn man auf die Ergebnisse von bevölkerungsrepräsentativen Umfragen blickt: Menschen mit ausgeprägter Verschwörungsideologie wählen tendenziell eher rechts oder ziehen sich durch Wahlboykott gänzlich aus dem demokratischen Prozess zurück. Die Wahl der AfD könnte einerseits politisch etwas bewirken, da einzelne AfD-Mitglieder regelmäßig Verschwörungserzählungen aufgreifen, andererseits wird die Möglichkeit der AfD innerhalb des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland etwas im verschwörungsideologischen Sinne zu bewegen als gering bewertet. Die Wahl der AfD wird selbst von Ihren Verfechtern als kleineres Übel bewertet. Auch steht nicht zu erwarten, dass die neuen und anderen verschwörungsideologischen Parteien viele Stimmen auf sich vereinen können. Innerhalb der Diskussionsrunde von Verschwörungsideologen Mitte Juni wurde die Wahl dieser oder anderer Kleinstparteien beispielsweise fast gänzlich ignoriert. Der Aussage Nikolai Nerlings, bekannt als antisemitischer Video-Blogger unter dem Namen „Volkslehrer“, dass eine Stimme für Kleinstparteien eine verschenkte Stimme sei, wollte niemand unmittelbar widersprechen. Auch ein Wahlboykott wird verschwörungsideologischen Zielen nicht förderlich sein. Der Entzug von Legitimität gegenüber dem politischen System durch die Verweigerung der Stimmabgabe von Seiten des Milieus wird weder die Macht der vermeintlichen Verschwörer:innen beschränken, noch dem Vorhaben des Überwindens des Systems dienlich sein.

Upadte: Nichtwählbarkeit von Wir2020 und WiR2020 bei der Bundestagswahl 2021 wegen fehlender Landeslisten und Wahlkreiskandidat:innen ergänzt.

Literatur

Bergmann, E. & Butter, M. (2020). Conspiracy theory and populism. In M. Butter & P. Knight (Hrsg.), Conspiracy theories. Routledge Handbook of Conspiracy Theories (S. 330–343). Routledge.

Der Bundeswahlleiter. (2021, 9. Juli). 53 Parteien können an der Bundestagswahl 2021 teilnehmen [Press release]. Wiesbaden. https://www.bundeswahlleiter.de/info/presse/mitteilungen/bundestagswahl-2021/14_21_1bwa-entscheidung.html

Quent, M. & Rathje, J. (2020). Ein populistisches Strohfeuer.: Zum Aufstieg und Fall der Internetbewegung Widerstand2020­ – Eine Kurzanalyse (Impulse gegen Rechtsextremismus). Berlin. Friedrich Ebert Stiftung. https://www.fes.de/forum-berlin/gegen-rechtsextremismus/artikelseite/ein-populistisches-strohfeuer-zum-aufstieg-und-fall-der-internetbewegung-widerstand2020-eine-kurzanalyse

Rathje, J. (2017). Reichsbürger, Selbstverwalter und Souveränisten: Vom Wahn des bedrohten Deutschen. Unrast.

Rensmann, L. (2006). Populismus und ideologie. In F. Decker (Hrsg.), Populismus: Gefahr für die Demokratie oder nützliches Korrektiv? (1. Aufl., S. 59–80). VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90163-3_3

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