Wenn die russische Propaganda versucht, sich als Faktenchecks zu tarnen
Russische Desinformationsakteure ahmen die Sprache und Formate von Faktenchecker:innen und Medienkompetenz-Programmen nach. Das Ziel ist, sich Glaubwürdigkeit zu verschaffen, unabhängige Faktenchecker:innen zu diskreditieren und Kreml-freundliche Narrative zu verbreiten. Bei einer Veranstaltung, die diese Woche in Moskau stattfand, wurde auch der Name der UNESCO ausgenutzt.
Auf dem Programm stehen Punkte wie Deepfakes, Betrug im digitalen Raum, Desinformation und künstliche Intelligenz. Die Organisator:innen des Forums „Dialog über Fakes“ versprechen, Expert:innen, Faktenchecker:innen und Entscheidungsträger:innen zusammenzubringen, um „Desinformation zu bekämpfen und Medienkompetenz zu fördern“. Doch in Wirklichkeit wurde die Konferenz, die am 29. Oktober in Moskau stattfand, von Organisationen veranstaltet, die selbst dafür bekannt sind, Desinformation zu verbreiten.
Diese Strategie wird von russischen staatlichen und staatsnahen Akteur:innen zunehmend verwendet, um den Informationsraum in Russland stärker zu kontrollieren, die Arbeit von etablierten Medien und Faktenchecker:innen aus dem Westen zu diskreditieren und Kreml-freundliche Propaganda zu verbreiten. Sie kapern dabei Formate wie Faktenchecks oder Medienkompetenz-Programme, und versuchen, sich international, vor allem im Global Süden, Glaubwürdigkeit zu verschaffen.
Sanktionierter Desinformationsakteur als Veranstalter
Der Hauptveranstalter der Konferenz „Dialog über Fakes“, die bereits zum dritten Mal stattfand, war ANO Dialog Regions, eine russische Organisation, die von den USA wegen Einflusskampagnen sanktioniert wurde. ANO Dialog Regions ist eine Tochterorganisation von ANO Dialog – diese russische Organisation steht ebenfalls auf Sanktionslisten in der EU, in Großbritannien und in den USA. ANO Dialog ist eine formell gemeinnützige Organisation, die jedoch vom russischen Staat finanziert wird und de facto der russischen Präsidialverwaltung untersteht. Sie steht in enger Verbindung zur russischen Einflussoperation „Doppelgänger“, mit der Russland seit dem Beginn der großangelegten Invasion der Ukraine versucht, die öffentliche Meinung in der EU und weiteren Ländern zu manipulieren. ANO Dialog hilft außerdem dem Kreml, den Informationsraum in Russland zu kontrollieren: die Organisation betreibt Monitoring und Analyse des russischen digitalen Raums, führt Meinungsumfragen durch, betreibt Social-Media-Accounts und -Gruppen und produziert eigene Inhalte.
Partnerorganisation: Ein vermeintliches Netzwerk der Faktenchecker:innen
Ein weiterer Mitveranstalter von „Dialog über Fakes“ war Global Fact-Checking Network (GFCN) – eine Organisation, die sich als ein unabhängiges internationales Netzwerk von Faktenchecker:innen darstellt. In Wirklichkeit hat auch sie enge Verbindungen zum russischen Staat: Das Netzwerk wurde gegründet von der russischen staatlichen Nachrichtenagentur Tass, der bereits oben erwähnten Organisation ANO Dialog Regions und der New Media School, einem russischen Bildungsprogramm für Medienschaffende, das ebenfalls von ANO Dialog Regions mitorganisiert ist. Die Nachrichtenagentur Tass und die New Media School waren auch als Mitveranstalter von „Dialog über Fakes“ angeführt.
Der Name „Global Fact-Checking Network” erinnert stark an “International Fact-Checking Network” – eine etablierte Organisation von Faktenchecker:innen. Die russische Organisation nutzt jedoch formelle Merkmale einer unabhängigen Organisation, um Kreml-freundliche Narrative zu verbreiten. Zu den Mitgliedern und Expert:innen von GFCN gehören etwa „African Initiative“, eine russische Organisation, die Informationsmanipulation in Afrika betreibt und von der EU und Großbritannien dafür sanktioniert wurde, sowie Influencer:innen wie Sonja van den Ende, Lucas Leiroz, oder Christelle Néant, die dafür bekannt sind, pro-russische Propaganda zu verbreiten.
In den Publikationen auf der Website von GFCN werden EU-Maßnahmen zur Bekämpfung von Einflusskampagnen aus Russland und das Plattformregulierungsgesetz Digital Services Act als Zensur diskreditiert und die europäische Demokratie zu einem „Fake“ erklärt.
Propagandist:innen auf dem Podium
Als Expert:innen und Diskutant:innen von „Dialog über Fakes“ traten in Moskau gleich mehrere russische Regierungsvertreter:innen und Mitarbeitende von Staatsmedien auf. Die Sprecherin des russischen Staatsministeriums Maria Sacharowa hatte eine eigene Session mit dem Titel „#Anti-fake: Truth always wins“ („#Anti-fake: Die Wahrheit gewinnt immer“). Während der Session erklärte sie, die „westliche Welt“ sei der „Hauptgenerator von Fakes“. Doch tatsächlich verbreitet das russische Außenministerium selbst regelmäßig Desinformation, das Massaker in der ukrainischen Stadt Butscha wurde von Sacharowa etwa als Inszenierung bezeichnet.
Auf der Liste von Speaker:innen waren auch mehrere Personen aus russischen Staatsmedien: Der stellvertretende Chefredakteur des Staatssenders RT Aleksej Nikolow, Producer von RT in Indonesien Fauzan Al-Rasyid, RT-Moderatorin Alexandra Jost und der Direktor für Strategie der russischen Staatsagentur TASS Sergej Kusownikow. Eine der Sessions wurde von Michail Swintschuk moderiert, dem Gründer des Telegram-Kanals Rybar, der in der EU mit Sanktionen für Verbreitung von Desinformation belegt ist.
Angebliche UNESCO-Schirmherrschaft
Bei der Eröffnung der Konferenz behauptete Wladimir Tabak, der Präsident von GFCN und Generaldirektor von ANO Dialog, das Forum finde „unter der Schirmherrschaft“ der UN und der UNESCO statt. GFCN kündigte auf der Website an, dass das Forum in den Veranstaltungskalender der UNESCO-Woche für Medien- und Informationskompetenz 2025 mitaufgenommen wurde. Tatsächlich wurde „Dialog über Fakes“ auf einer Seite von UNESCO erwähnt, allerdings lediglich in einer Liste von externen Events, die von ihren Veranstalter:innen mit einer Selbstbeschreibung eingereicht werden konnten. Am 22. Oktober wurde auf der Seite ein Disclaimer hinzugefügt, dass UNESCO keine Verantwortung für die Inhalte der Seite trage. Inzwischen ist die Seite mit der Liste nicht mehr erreichbar. Allerdings wurde die Tatsache, dass die Veranstaltung es auf eine UNESCO-Seite schaffte, von den Veranstalter:innen ausgenutzt, um sich als besonders etabliert und glaubwürdig darzustellen.
Faktencheck-Plattform und kostenlose Bildungskurse
Es ist nicht das erste Mal, dass in Russland Formate von Faktenchecks und Medienkompetenz-Programmen genutzt werden, um Kreml-Propaganda zu verbreiten. Gleich nach dem Beginn der großangelegten Invasion in der Ukraine wurde das Projekt „War of Fakes“ gestartet, das im Form von „Faktenchecks“ die Falschbehauptungen verbreitete, die Ukraine habe den Angriff auf die Geburtsklinik in Mariupol und das Massaker in Butscha inszeniert. Inzwischen ist bekannt, dass hinter „War on Fakes“ ANO Dialog steht. Zur gleichen Zeit wurden auch mehrere russischsprachige Telegram-Kanäle aktiv, die angebliche westliche „Fakes“ über den russischen Krieg in der Ukraine widerlegten. Der staatliche russische Fernsehsender Perwy Kanal startete 2022 die Show „Anti-Fake“, die russische Zuschauer:innen vor Informationen aus der Ukraine und aus dem Westen warnt.
ANO Dialog Regions betreibt das russischsprachige Projekt „Lapscha Media“, die als „Fact-Checking-Plattform“ für Nutzer:innen dient, die eigene Debunking-Texte einreichen können. Auf der Website werden Artikel über Online-Betrugsmethoden und Doxxing oder Texte zu unpolitischen Themen wie Schluckauf oder Inhaltsstoffe von Zahnpasta mit Widerlegungen von Kreml-kritischen Behauptungen vermischt. Auch Medienkompetenz-Bildungsformate werden von russischen staatsnahen Akteur:innen für sich reklamiert. „Lapscha Media“ bietet Nutzer:innen etwa ein Bildungsspiel an, bei dem man „Fakes“ identifizieren kann. ANO Dialog veranstaltete im Oktober einen Bildungstag über Faktenchecks für Studierende. GFCN bietet kostenlose Faktencheck-Kurse an.
Diskreditierung und Verwirrung als Ziel
Mit diesem Methoden versuchen russische Akteur:innen zum einen, sich selbst als neutrale und vertrauenswürdige Quellen zu etablieren. Zum anderen betreiben sie ein umgekehrtes Pre-Bunking: ukrainische und westliche Quellen werden als unglaubwürdig dargestellt und Nutzer:innen vor bestimmten Informationen gewarnt. Ein weiteres Ziel ist Diskreditierung von Faktencheck- und Medienkompetenz-Projekten aus dem Westen als nicht-objektiv und manipulativ – diese Botschaft ist auch an die Länder des Globalen Südens gerichtet. „Dialog über Fakes“ behauptet, ein Fokus auf „multipolares Fact-Checking“ zu legen – analog zum Begriff „multipolare Welt“, der von Russland verwendet wird, um die „Dominanz“ des Westens herauszufordern.
Die Taktik russischer Desinformationsakteur:innen, Faktenchecks für sich zu vereinnahmen, hat auch Potenzial dazu, Verwirrung darüber zu stiften, welche Faktenchecks vertrauenswürdig sind und Misstrauen in Bildungskurse zu schüren. Medienschaffende, Faktenchecker:innen und internationale Organisationen sollten über diese Taktik aufgeklärt werden, um nicht auf Propaganda-„Faktenchecks“ reinzufallen.
