Neuer CeMAS-Report
Berlin, 05. Dezember 2023
Das Milieu der „Reichsbürger“ hat von Krisen wie der Coronapandemie profitiert. Es ist in den vergangenen Jahren gewachsen, hat sich weiter radikalisiert und sollte, anders als aktuell von Ermittlungsbehörden und Politik gehandhabt, eindeutig der extremen Rechten in Deutschland zugeordnet werden. In jüngster Vergangenheit hat sich dem waffennaffinen „Reichsbürger“-Milieu zudem Personal aus Militär, Polizei und Politik angeschlossen. Diese Entwicklungen erhöhen die Gefahr, dass Umsturzpläne in die Realität umgesetzt werden könnten. Zu diesen Ergebnissen kommt der neue Report Durch die Krise ins Reich des Berliner CeMAS (Center für Monitoring, Analyse & Strategie).
Sogenannte „Reichsbürger“ werden oft als skurriles Randphänomen betrachtet, mitunter als „Spinnerei“ verharmlost. Dabei ist die Kernideologie von „Reichsbürgern“ auf Ungleichheit ausgerichtet und basiert auf antisemitischen, geschichtsrevisionistischen und demokratiefeindlichen Narrativen. „Auch wenn ‚Reichsbürger‘-Aktionen häufig einer Realsatire gleichen, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Milieu Teil der extremen Rechten ist. Von diesem Milieu geht ein reales Gewalt- und Gefahrenpotenzial aus“, warnt Jan Rathje, Autor des neuen Reports und Politikwissenschaftler bei CeMAS.
Mit dem Report Durch die Krise ins Reich – Postpandemische Entwicklungen von „Reichsbürgern“ und Souveränist:innen in Deutschland hat er eine aktuelle Bestandaufnahme des Milieus verfasst und die Expansionsstrategien und Radikalisierungsprozesse der letzten Jahre untersucht.
Der Autor Jan Rathje kommt zu folgenden zentralen Erkenntnissen:
- Der Resonanzraum des „Reichsbürger“-Milieus in Deutschland ist größer als es die Zahlen des Bundesamtes für Verfassungsschutz nahelegen. Für das Jahr 2022 rechnete der Verfassungsschutz der Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ 23.000 Personen zu. Doch weitere Untersuchungen deuten auf einen deutlich größeren Resonanzraum: Laut CeMAS-Analysen erreicht der reichweitenstärkste „Reichsbürger“-Kanal auf Telegram im Jahr 2023 bereits 66.000 Abonnent:innen. Auch eine repräsentative Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung aus dem Jahr 2021/2022 lässt Rückschlüsse darauf zu, dass deutlich mehr Menschen souveränistischen Ideen offen gegenüberstehen. Laut der Umfrage weist jede:r 20. Deutsche „Reichsbürger“-affine Einstellungen auf. Überdurchschnittlich hoch fällt die Zustimmung bei AfD-Anhänger:innen aus.
- Das „Reichsbürger“-Milieu hat sich weiter radikalisiert und professionalisiert. Es verfolgt vermehrt terroristische Pläne und rekrutiert gezielt kampferfahrene Personen. Die Anzahl an Gewalttaten aus dem Milieu der „Reichsbürger“ ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Auch die Qualität hat sich verändert: Die Ermittlungsverfahren aus den Jahren 2022/23 gegen die beiden mutmaßlichen Terrorgruppen „Vereinte Patrioten“ und „Gruppe Reuß“/„Patriotische Union“ haben gezeigt, wie gezielt Elite-Soldaten und Polizisten innerhalb und außerhalb des Milieus für die Umsetzung von Umsturzplänen angeworben wurden. Der Umgang mit und Zugang zu Waffen spielt im Milieu eine entscheidende Rolle und erhöht das Gefahrenpotenzial.
- Das „Reichsbürger“-Milieu ist Teil der politischen extremen Rechten. Ermittlungsbehörden und Politik sollten ihre Einordnung entsprechend anpassen. „Reichsbürger“ werden von den meisten Ermittlungsbehörden und Inlandsnachrichtendiensten als eigenständiges Phänomen und nicht als Teil der extremen Rechten begriffen und eingeordnet, obwohl ihre Kernideologie deutlich in einer rechtsextremen und antisemitischen Traditionslinie steht. Zudem werden Straftaten aus dem souveränistischen Milieu in den Kriminalitätsstatistiken fast immer unter der Kategorie „nicht zuzuordnen“ gefasst und nicht unter „rechts“. Diese Fehleinschätzung führt zu einer Verharmlosung des „Reichsbürger“-Phänomens und lässt gleichzeitig die Gesamtzahl rechter Straftaten geringer wirken.
Zum gesamten Report (per PDF downloadbar):
https://cemas.io/publikationen/durch-die-krise-ins-reich/
Für Interviews steht zur Verfügung:
Jan Rathje, Politikwissenschaftler und Senior Researcher beim CeMAS (Center für Monitoring, Analyse und Strategie)
Pressekontakt:
Maheba Goedeke Tort
CeMAS (Center für Monitoring, Analyse und Strategie)
E-Mail: presse@cemas.io
Website: www.cemas.io
Über CeMAS
CeMAS, das gemeinnützige Center für Monitoring, Analyse und Strategie bündelt jahrelange interdisziplinäre Expertise zu den Themen Verschwörungsideologien, Desinformation, Antisemitismus und Rechtsextremismus. CeMAS adressiert aktuelle Entwicklungen innerhalb der Themenfelder online durch systematisches Monitoring zentraler digitaler Plattformen und moderner Studiendesigns, um so innovative Analysen und Handlungsempfehlungen abzuleiten. Darüber hinaus berät CeMAS Entscheidungsträger:innen aus Zivilgesellschaft, Medien und Politik. CeMAS wird gefördert von der Alfred Landecker Foundation.
Über die Alfred Landecker Foundation
Die Alfred Landecker Foundation fördert und beschleunigt die Entwicklung einer offenen, demokratischen und diskriminierungsfreien Gesellschaft. Die Stiftung ist ein Inkubator für Demokratie im digitalen Zeitalter. Sie setzt sich ein für eine zeitgemäße Erinnerungskultur und bekämpft Antisemitismus und Rassismus. Die Stiftung schafft Netzwerke, Räume und Wissen, indem sie interdisziplinäre Projekte unterstützt, fördert, vernetzt und professionalisiert. Durch den Aufbau eines Netzwerks global aktiver Partner:innen macht sie Wissen und Erfahrungen breit verfügbar und bringt unterschiedlichste Perspektiven aus Wissenschaft und Praxis an einen Tisch.
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